Game Studies Roundup #9: Der ewige Kreis, Psychologie, Sex & Seuchen in MMOs
Im jeden zweiten Dienstag erscheinenden Game Studies Roundup sammeln wir aktuelle Beiträge jeder Machart innerhalb der Game Studies oder aus für Game Studies jeglicher Hinsicht interessanten Inhalten. Egal ob lesens-, hörens- oder sehenswert: Diese Liste schafft Aufmerksamkeit für Projekte, bietet Quellen für eigene Projekte sowie eine dauerhaft nachschlagbare Kuration.
Alle Game Studies Roundups sind hier einsehbar. Interessante Themengebiete können über die jeder Quelle zugeordneten Science Tags komfortabel gesucht werden.
Von „bikini armor“ und „boob plates“: Sind Frauenrüstungen ein Problem?
Aurelia Brandenburg, geekgefluester.de, 19.11.2017
Ist damit jede brustbetonte Frauenrüstung automatisch ein Zeichen für schlechtes Design? Nein. Werfen wir zum Beispiel einen Blick auf die Rüstung der Templerkommandantin Meredith in „Dragon Age 2“. Ihr Harnisch endet knapp unterhalb ihrer Brüste, hat allerdings schon einmal zwei kritische Dinge nicht: Eine Einbuchtung zwischen den Brüsten und keinen weiteren Schutz abgesehen davon. (Siehe Bild unten.) Die Form des Panzers betont den Brustbereich, würde aber immerhin einen abrutschenden Schlag von vorne nicht noch extra auf das Brustbein ablenken und vielleicht so am Ende noch verstärken. Ob oder wie gut das Kettenhemd, von dem man sehen kann, dass sie es unter dem Harnisch trägt, nun wirklich den Rest ihres Oberkörpers schützt, steht auf einem anderen Blatt, aber genauso könnte man die Frage stellen, wie praktisch denn nun diese Spitzen der Schulterteile sind.
Zur Relevanz: Dass übersexualisierte Rüstungen für Frauen in Fantasy- und Mittelaltersettings kein gutes Design darstellen, wissen die meisten. Aber warum dem nicht nur aus emanzipatorischen, sondern auch aus ganz praktischen Gründen wirklich so ist, darüber machen sich nur wenige Menschen auch Gedanken. Aurelia Brandenburg erklärt anhand guter wie schlechter Beispiele aus Videospielen wie Dragon Age, wo die Probleme liegen.
Science Tags: Geschichte, Mittelalter, Authentizität, Feminismus, Rüstung
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No Man’s Sky: Digitale Grabungsarbeit
Jan Bojaryn, sciencegames.de, 12.11.2017
NMS zieht Pioniere und Entdecker an. Einer von ihnen ist Andrew Reinhard. Der Archäologe interessiert sich schon lange für Computerspiele. Sein Versuch, NMS wissenschaftlich zu untersuchen, wurde im ersten Anlauf von technischen Unzulänglichkeiten erschwert. Entdeckern fehlten die einfachsten Werkzeuge – etwa ein Kompass. Aber nach größeren Updates sind die Möglichkeiten besser.
Reinhard hat an Ausgrabungen etruskischer, antiker griechischer und neuweltlicher Stätten teilgenommen; ebenso an der viel beachteten Aushebung jener Mülkippe, auf der Atari einst große Mengen des gefloppten E.T.-Videospiels verklappte. Zur Zeit schreibt er seine Doktorarbeit im Centre for Digital Heritage, des Fachbereichs Archäologie der University of York.
Zur Relevanz: Im Interview mit Jan Bojaryn gibt Archäologe Andrew Reinhard preis, warum er No Man’s Sky als archäologisches Grabungsobjekt für sich entdeckt hat.
Science Tags: Archaeogaming, Archäologie, Exploration, Interview
Sherlock – Intermediality under the Looking Glass
Silja Wendt, uni-muenster.de/textpraxis, März 2017
This paper will contribute to the understanding of media products with respect to their materiality and performativity, and how these phenomena appear in the context of the mediation of literature. For that purpose, the paper will examine how the TV series Sherlock transforms traditional stories into new spatiotemporalities and media forms. By doing so, as will be demonstrated, it both conserves and develops cultural phenomena and values.
Zur Relevanz: Die BBC-Serie Sherlock ist ein Massenphänomen, nicht weniger, als es Arthur Conan Doyle’s Originalwerk zu seiner Zeit war. Silja Wendt erforscht, wie die Serie die von der Vorlage gegebenen narrativen Werte erhält und gleichzeitig die Möglichkeiten der modernen Übertragung und Themen der aktuellen Gesellschaft dazu einsetzt, relevant zu bleiben.
Science Tags: Film Design, Filmtheorie, Serie, Literatur, Literature, Arthur Conan Doyle, Sherlock
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Break it down for me: Video games
Olivier Sylvestre, theconcordian.com, 14.11.2017
Video games are such a big part of culture that it has an impact on people’s general sense of who we are. It does pay to pay attention to how games might be influencing the way that we think about ourselves. Often, it happens at a subconscious level—it’s not an explicit part of the message that is in the game, but it’s just part of the logic of the game or how the game works. You are not realizing that you are internalizing some of these things, but you learn to take certain things for granted or accept things as normal because you are participating in those games. For example, you can internalize through video games stereotypes about socially-constructed gender roles or racism.
Zur Relevanz: Was sind eigentlich Game Studies? Warum beschäftigen sich Akademiker mit Videospielen? Carolyn Jong, Dozentin an der Concordia University, erklärt dies für Menschen, die akademischen Hintergrund, aber keinerlei Berührung mit Videospielen haben. Sie geht dabei auf psychologische, literarische sowie aktuelle politische Problemfelder ein.
Science Tags: Game Studies, academic, akademisch, politics, Politik, psychology, Psychologie, Gamergate, Literature, Literatur
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Inside The Brothels Of Final Fantasy XIV
Cecilia D’Anastasio, kotaku.com, 16.11.2017
Tepe runs a seaside brothel on the FFXIV server Hyperion. These 18+ love dens exist on the raunchy role-play server Balmung and the populous server Leviathan as well. In them, players offer erotic role-play in exchange for lofty fees. In private rooms, cat girls sprawl out on beds with elves, humans, blue-skinned giants and other fantastical races playing out fantasies ranging from lighter bondage fare to all things tentacles. Anything is possible in text chat, and what can’t be conveyed in words is conveyed through emotes like /hug and /doze.
Zur Relevanz: Passend zum Beitrag über das Sex-Emoticon von Final Fantasy XIV von derselben Autorin aus dem letzten Game Studies Roundup geht Cecilia D’Anastasio dieses Mal einen Schritt weiter und berichtet über die spielerbetriebenen Bordelle des MMORPGs.
Science Tags: Animation, Emoji, Cybersex, Brothels, Bordelle, Economy, Ökonomie, Sexwork
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[Video] The Corrupted Blood Incident
The Playpen (Hrsg.), youtube.com, 18.08.2016
Take a look back at the Corrupted Blood Virtual Plague that ran rampant in World of Warcraft for a few weeks in 2005.
Zur Relevanz: Wie eine virtuelle Epidemie ohne Intention der Entwickler ganze Landstriche des MMORPGs Word of Warcraft entvölkern könnte, erläutern The Playpen in diesem kurzen, hochinformativen Video. Die virtuelle Katastrophe dient heute Epidemiologen und Terrorismusforschern als Anhaltspunkt für das Verhalten von Menschengruppen bei unaufhaltbaren Krankheitswellen. Spannend!
Science Tags: Epidemiology, Epidemiologie, Counterterrorism, Terrorismusforscher, World of Warcraft, Social Studies
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‘How Dark Souls II’ Revels in the Horror of Repetition
Cameron Kunzelman, waypoint.vice.com, 20.11.2017
Dark Souls II folds this anxiety into its very narrative fabric. Similarly to Metal Gear Solid II: Sons of Liberty, DS II understands that it is possible to address player expectations at the level of narrative. You can make your audience feel better about an experience by letting characters, setting, and plot points directly address the fact that this is a sequel and that it is, fundamentally, a continuation of something that they have already done before.
Zur Relevanz: Dark Souls II gilt oft als das schwarze Schaf der Dark Souls-Reihe – unfertig, voller recycelten Inhalten und ohne die künstlerische Vision von Serienvater Hidetaka Miyazaki. Warum sich Dark Souls II dieser Schwächen jedoch wohl bewusst ist und wie es aktiv damit umgeht, der Nachfolger eines Werks zu sein, dass in den Augen vieler keinen Nachfolger gebraucht hätte, sieht sich Cameron Kunzelman innerhalb der Narration des Spiels an.
Science Tags: Game Design, Narration, Erzählung, Sequel
Was ist eine psychologische Perspektive auf Spiele?
Benjamin Strobel & Nicolas Hoberg, behind-the-screens.de, 20.11.2017
Da wir Psychologie als Wissenschaft betreiben, begnügen wir uns nicht damit, das menschliche Erleben und Verhalten einfach nur festzustellen. Wir wollen es auch verstehen, erklären und vorhersagen. Warum war uns der Boss zu schwierig? Wann werfen wir den Controller in die Ecke, wann bleiben wir am Ball? Unter welchen Bedingungen sind wir in der Lage, uns im Spiel zu verbessern? Warum haben einige Menschen Spaß an schwierigen Spielen und andere nicht? Wie kommt es überhaupt, dass wir spielen? All das (und viele mehr) sind psychologische Fragen. Indem wir das menschliche Erleben und Verhalten in unsere Beobachtungen von Videospielen einbzeiehen, nehmen wir eine psychologische Perspektive ein.
Zur Relevanz: Warum betreiben wir eigentlich einen Blog, der sich mit Videospielen auf bestimmte wissenschaftliche Arten beschäftigt? Dieser Frage widmen sich die Psychologen Benjamin Strobel und Nicolas Hoberg auf ihrem neu eröffneten Blog Behind the Screens hinsichtlich ihrer psychologischen Perspektive (Anm. d. Kurators: Ähnliches habe ich zu Beginn von Language at Play auch für den Blickwinkel eines Linguisten getan).
Science Tags: Psychologie
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Life Is Strange’s Literary References Give Deeper Meaning To Its Journey
Peter Tieryas, kotaku.com, 22.11.2017
Life Is Strange would be remarkable without a single literary reference. That it seamlessly blends them into the universe is a testament to the fantastic writing from Dontnod Entertainment and its dedication to creating an experience that shows life is strange, but also fascinatingly complex.
Zur Relevanz: Life is Strange ist gespickt mit Literaturanspielungen, die oft erst auf den zweiten Blick auffallen, kennt man das Ausgangsmaterial nicht auswendig. Peter Tieryas listet einige der vorkommenden literarischen Werke auf und erklärt gleichzeitig, warum sie nicht nur lose Easter Eggs, sondern der tief in die Erzählung des Spiels eingearbeitet sind.
Science Tags: Narration, Erzählung, Literature, Literatur, Game Design
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Sex sells? – Kleopatras Darstellung in Assassin’s Creed Origins
bdbjorn, videospielhistoriker.wordpress.com, 11.11.2017
Kleopatra wird eigentlich immer in einer eher jüngeren Phase ihrer Herrschaft dargestellt und entspricht auch „gemeinhin“ dem modernen Bild von Attraktivität. Während sie in Civilization VI noch einigermaßen „sittsam“ gekleidet ist, verschwindet die Kleidung bei Civilization Revolution, Rise and Fall oder Dante’s Inferno immer mehr. Hier wird wenig Kleidung zum Charaktermerkmal und je nach Spiel durch aktives oder verführerisches, ja sogar „südenhaftes“ Verhalten ergänzt. Insofern bedient sich Assassin’s Creed Origins also im Videospielkosmos keineswegs unbekannten Darstellungen von Kleopatra. Im Gegenteil: Der eingeschlagene Weg führt die Entwicklung Kleopatras sogar auf eine neue Spitze. Denn so offen dargestellten sexuellen Bezug in einer historisch angehauchten Welt hat es vorher noch nicht gegeben. Bei Dante’s Inferno konnte man in gewisser Weise noch die Ausrede gelten lassen, dass hier bewusst keine historisch realistische Welt vorgegeben wird. Bei Assassin’s Creed Origins ist dies aber anders, denn das Gefühl, „wirklich“ im alten Ägypten zu sein soll hier bewusst vermittelt werden.
Zur Relevanz: Die Darstellung von Pharaonin Kleopatra in Assassin’s Creed Origins erregte jüngst die Gemüter. Videospielhistoriker Bjorn vergleicht sie mit vorherigen Darstellungen Kleopatras in unterschiedlichen Strategiespielen und sogar Dante’s Inferno und zieht Schlüsse, woher die auf Sexualität ausgerichtete Missrepräsentation der Herrscherin stammen könnte.
Science Tags: Geschichte, Archäologie, Ägypten
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