Game Studies Roundup #12: Agency in Räumen, beiläufiger Kolonialismus, Erinnerungskultur und die Macht der Musik
Im jeden zweiten Dienstag erscheinenden Game Studies Roundup sammeln wir aktuelle und dauerrelevante Beiträge jeder Machart innerhalb der Game Studies oder aus für Game Studies jeglicher Hinsicht interessanten Inhalten. Egal ob lesens-, hörens- oder sehenswert: Diese Liste schafft Aufmerksamkeit für Projekte, bietet Quellen für eigene Projekte sowie eine dauerhaft nachschlagbare Kuration.
Alle Game Studies Roundups sind hier einsehbar. Interessante Themengebiete können über die jeder Quelle zugeordneten Science Tags komfortabel gesucht werden.
Historische Erinnerungslücken. Geschichtserfahrungen und Erinnerungskultur bei digitalen Spielen
Nico Nolden, spielbar.de, 28.09.2016
Da sich digitale Spiele gesellschaftlich weit verbreitet haben und zu einem großen Teil Geschichte inszenieren, beeinflusst ihre Wahrnehmung gesellschaftliche Vorstellungen von Geschichte. Sie formen diese zudem in einer neuartigen Weise, die ihren medialen Eigenschaften entspricht, und verändern so die Geschichtskultur. Weil sie noch kein Teil öffentlicher Gedenkformen sind, prägen sie Erinnerungskulturen vor allem unter Spielern. Wissenschaftlich belegte Interpretationen bieten Spiele nicht an, meist deuten Spielende individuell ihre Spielerlebnisse zu Geschichtserfahrungen. Umso wichtiger ist es zu verstehen, um wie viel komplexer die historischen Inszenierungen in digitalen Spielen sind, als sie bisher behandelt werden.
Zur Relevanz: Wie viel Geschichte steckt in ‘historischen’ digitalen Spielen? Nico Nolden stellt in diesem Artikel von 2016 heraus, dass sich mit Zeitgeschichte und Erinnerungskultur deutlich mehr Videospiele treffend beschreiben lassen als mit historischer Akuratesse, und lenkt den Forschungsfokus so auf andere Gesichtspunkte.
Science Tags: Geschichte, Authentizität, Akuratesse, Zeitgeschichte, Erinnerungskultur
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How video games demonize fat people
Anshuman Iddamsetty, theountline.com, 23.01.2018
Fatness, then, isn’t just an escalation — Snorlax blocking the route in Pokémon — but a heightened performance of what a developer imagines the world demands fatness to be. “The most common mode is fat as a stand-in to show that a character is greedy, to show that a character is slovenly, to show that a character has low moral fiber,” said Harper. In other words, fatness a universal shorthand that ensures a player can both read and read into the systems of a particular game without alienating them.
Zur Relevanz: Übergewicht in Videospielen wird oft mit denselben Stereotypen in Verbindung gebracht – Faulheit, fehlende Willenskraft, Ungeschick. Wenige Videospiele durchbrechen diese Vorurteile oder thematisieren sie überhaupt. Anshuman Iddamsetty stellt die Forderung nach mehr Wahlfreiheit in der Darstellung von übergewichtigen Charakteren auf. Hier sei auch die Besprechung des Themas (sowie des Artikels) im Pixeldiskurs-Podcast Folge 81 empfohlen!
Science Tags: Übergewicht, Fat, Weight, Stereotypisierung
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[Podcast & Text] Zivilisten in Kriegsspielen
Katharina Röben, swr.de, 2225.01.2018
War Games wie “Battlefield”, “Medal of Honor”, die “Tom Clancy”-Reihe oder “Call of Duty” sind sogenannte Ego Shooter, bei denen Spieler die Handlung durch die Augen der Figur wahrnehmen, die sie steuern. Entwickler kooperieren sogar mit dem Militär, um selbst modernste Waffensysteme wirklichkeitsgetreu abzubilden. Doch meist gibt es in den Szenarien nur Soldaten – gute und böse, die gegeneinander kämpfen.
Zur Relevanz: Kriegsspiele drehen sich um Krieger. Zivilisten sind ein seltener Anblick, und wenn sie existieren, dann meist als Statisten. Katharina Röben zeigt eine Entwicklung in der Agency von Zivilisten in Kriegsspielen – vom Statisten zum Akteur – und gibt gleichzeitig Gründe für die eklatante Abwesenheit von Zivilisten in Videospielen, wie etwa den Eingriff des amerikanischen Militärs in bestimmte digitale Spiele.
Science Tags: Krieg, Zivilisten, Militär
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„Mein Rat ist, generell entspannter mit dem Thema umzugehen.” Ein Gespräch mit Prof. Dr. Maic Masuch
Rebecca Winkels, die-debatte.org, 30.01.2018
Natürlich fehlt mir, wenn ich vier Stunden lang am Computer spiele, die Zeit für beispielsweise Mathehausaufgaben. Das ist aber nicht anders, wenn ich vier Stunden Sport treibe oder vier Stunden ein Buch lese. Zumal nicht jedes Buch, was man in seiner Kindheit gelesen hat, große Literatur ist. Da gibt es auch viel Mist. Qualität wird also nicht automatisch durch die Wahl des Mediums Buch, Theater, Film oder Computerspiel bestimmt. Es gibt eben auch tolle Spiele mit spannenden und gehaltvollen Geschichten. Wie mit anderen Dingen im Leben geht es auch hier darum, ein gesundes Gleichgewicht zwischen verschiedenen Tätigkeiten zu finden.
Zur Relevanz: Wer an Spielen forscht, dem muss vermutlich niemand mehr klarmachen, dass digitale Spiele ein vollwertiges Medium sind. Die Vermittlung des Mediums Spiel als gleichwertig zum Buch, Theater und Film an Außenstehende fällt jedoch bisweilen schwer. Rebecca Winkels und Maic Masuch geben dafür im Gespräch praktische Herleitungen.
Science Tags: Wissenschaftskommunikation, Medium
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A Defense of Practical Archaeogaming
Andrew Reinhard, archaeogaming.com, 31.01.2018
In both the natural and synthetic worlds, landscapes are indeed developed, albeit on different timelines. As is always with the digital, creation is fast, certainly faster than geologic time. I would also argue that in-game landscapes do change. For designed worlds, these changes largely occur during the development cycle, but they also change (or have the potential to change) between versions. While this might not be immediately apparent in a game such as Skyrim, the landscape did change (and does change) in procedural games such as No Man’s Sky, sometimes by human agency, and other times by mechanical or code-based agency. As an archaeologist, I am interested in the oddness there is in static landscapes, those that do not undergo real-time formation processes.
Zur Relevanz: In dieser Verteidigung der Videospiel-archäologischen Arbeit geht Andrew Reinhard auf Kritik an seiner Vorstellung der Landschaftsarchäologie in The Elder Scrolls V: Skyrim ein und Vorgehen und Absichten hinter der Disziplin sowie hinter seinen eigenen Methoden genauer.
Science Tags: Archaeogaming, Archäologie, Archaeology, Landscape
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G|A|M|E – n. 6/2017: Hear the Music, Play the Game
H. C. Rietveld & M. B. Carbone (Hrsg.), gamejournal.it, 2017
Zur Relevanz: In dieser auf Ludomusikologie fokussierten Ausgabe des G|A|M|E Journal werden Soundtracks und Soundsysteme aktueller Spiele wie alter Spielsysteme unter die Lupe genommen. Exemplarisch möchte ich besonders auf den Aufsatz “Heute gehört uns die Galaxie”: Music and Historical Credibility in Wolfenstein: The New Order’s Nazi Dystopia von F. Peñate Domínguez hinweisen.
Science Tags: Ludomusicology, Ludomusikologie, Journal
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How Dice Changed in the Middle Ages
Natalie Anderson, medievalists.net, 01.02.2018
In Roman times, many dice were visibly lopsided, unlike today’s perfect cubes. And in early medieval times, dice were often “unbalanced” in the arrangement of numbers, where 1 appears opposite 2, 3 opposite 4, and 5 opposite 6. It did not matter what the objects were made of (metal, clay, bone, antler and ivory), or whether they were precisely symmetrical or consistent in size or shape, because, like the weather, rolls were predetermined by gods or other supernatural elements.
Zur Relevanz: Würfel waren nicht immer das ideale Symbol des Zufalls. Wie sich die Bedeutung und dementsprechend der Aufbau von Würfeln in der Geschichte geändert hat, präsentiert Natalie Anderson anhand einer Studie hier kurz und prägnant.
Science Tags: Die, Dice, Würfel, Zufall, Gesellschaftsspiele, Board Games
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Casual Empire: Video Games as Neocolonial Praxis
Sabine Harrer, olh.openlibhums.org, 31.01.2018
This logic of invisible whiteness is not unique to video games, but applies to (post)colonial representation more generally. As Richard Dyer (2005) has observed in relation to cinema, whiteness resides in invisible properties and thus fixes the coloniser’s point of view as the default. But as an ideology, casual empire goes further than reproducing images of invisible whiteness; it mobilises them for the recreational activity of play. Video games that include cases of casual empire demonstrate our collective failings to address and redress imperial values.
Zur Relevanz: Sabine Harrer definiert in diesem Essay den Begriff des casual empires – des beiläufigen Imperiums. Wie auch auf den ersten Blick unideologische Videospielwelten zur Verfestigung des Kolonialismus als Mythos beitragen, ist gerade auch aus der kürzlichen Debatte um Kingdom Come: Deliverance ein wichtiger Teil der Rezeption von digitalen Spielen. Dieser Artikel steht exemplarisch für die Special Collection: Postcolonial Perspectives in Game Studies, der sie entstammt. Ebenfalls für sehr empfehlenswert halte ich daraus etwa den Artikel Geralt of Poland: The Witcher 3 Between Epistemic Disobedience and Imperial Nostalgia.
Science Tags: Colonialism, Kolonialismus, Geschichtsrevisionismus, Geschichte, History, Ideology, Ideologie, Imperialism
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[Video] Digitale Spiele als historische Erlebnisräume – Präsentation vom 23.01.2018
Felix Zimmermann, youtube.de, 24.01.2018
Dieser Vortrag wurde im Rahmen der Ringvorlesung “Über das Heilsversprechen des Echten. Authentizität als Kernbegriff geschichtskultureller Forschung” an der Universität zu Köln (WS 2017/2018) gehalten und für dieses Video mit dem dort verwendeten Skript erneut eingesprochen.
Zur Relevanz: Dass der “Walking Simulator” als Genrename in seiner Reduktion den darunter gefassten Spielen nicht gerecht wird, ist wenig umstritten. Felix Zimmermann spricht über die Ergebnis seiner Masterarbeit etwa anhand von Gone Home über Agency sowohl des Spieleravatars als auch der digitalen Räume selbst.
Science Tags: Walking Simulator, Narrative Game, Agency, Raum
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