Dieses Adult Game kommuniziert ausschließlich in Emoji
Das sexy Survival-Spiel Tame It! von Manka Games ist ein Adult Game, das über Sex-Szenen hinaus auch sprachwissenschaftlich interessant ist: Es spricht nur in Emoji. Wie klappt das, und was hat ein solcher Ansatz in einem Adult Game zu suchen?
Seit Valve auf seiner Distributionsplattform Steam Adult Games zulässt, hat sich das Angebot an solchen, also Spielen, die explizite Sexszenen zeigen oder sich gar ganz um Sex drehen, merklich diversifiziert. Vorbei sind die Zeiten, wo sichtbarer Sex in Spielen nur im R18-Patch von Anime-Visual-Novels stattfand, den man sich nach dem Kauf der geschnittenen Version verschämt, aber immerhin kostenlos auf der Website des Entwicklungsstudios herunterlud. Nein, auf Steam findet sich heute so manches Mal ein sogenanntes Adult Game auf der Startseite, vielleicht sogar in den Topsellern des Tages. Außer natürlich man lebt in Deutschland, wo Valves Weigerung, eine eigene 18+-Sektion im Store abzugrenzen, den Jugendschutz auf den Plan gerufen hat. Global ist Sex in Farmingsimulationen, Plattformern, Top-Down-Zeldalikes, Escape Games, Puzzlespielen und vielen, vielen weiteren Genres angekommen.
Sex, Sonne und Survival
Zum Beispiel in Survival-Management-Simulationen. Eine davon ist Tame It!, eine Reinterpretation der Robinson-Crusoe-Geschichte von Manka Games. Manka Games sind ein achtköpfiges Team aus Russland, der Ukraine, Georgien und Deutschland. Tame It! ist ihr erstes gemeinsames kommerzielles Projekt.

Quelle: Environmental Storytelling: Ohne Foto und Award im Hintergrund links oben wüssten wir viel weniger über Tonya. Tame it!, Manka Games.
In Tame It! stürzen Lee, der einzige Passagier eines Flugzeuges, und die Pilotin und Ex-Pornhub-Darstellerin Tonya nach einem Stelldichein am Steuerknüppel voneinander getrennt auf einer verlassenen tropischen Insel ab und müssen von da an überleben. Spieler*innen übernehmen die Rolle von Lee und müssen Materialien sammeln, Nahrung kochen und einen Unterschlupf bauen. Währenddessen findet Lee zwei der eigentlichen Einwohner der Insel vor: Cat und Octa, zwei antropomorphe Tierfrauen, mit denen man sich wie in einem Adult Game üblich natürlich nicht nur platonisch anfreunden kann.
Wenn das jetzt klingt wie eine ziemlich standardgemäße Umsetzung eines Survival-Games ins Porn-Genre, dann stimmt das einerseits. Wie in den meisten Adult Games sind die Romanzenoptionen heteronormativ und der Male Gaze das Gebot der Stunde. Alle der drei kopulierbaren Figuren sind mit eindeutigen weiblichen primären und sekundären Geschlechtsorganen ausgestattet, derer Lee sich natürlich früher oder später aller ausgiebig bedienen kann. Das Spielsystem ist simpel, Sammeln und Bauen werden durch UI-Events verdeutlicht, von denen man pro Tag nur eine gewisse Anzahl starten kann. Minispiele wie Vögel zu jagen und Frauen zu beschlafen werden durch simple Mausbewegungen gelöst.
Warum also einen tieferen Blick auf Tame It! werfen, und dann ausgerechnet auf einem Blog über Linguistik und Game Studies?
Sprechen, aber in Bildern
Was Tame It! für mich so interessant macht, ist sein einzigartiges Sprachsystem. Denn obwohl es Tame It! in diversen Sprachen zu spielen gibt – selbst Deutsch ist eine davon, obwohl das Spiel in der Bundesrepublik nicht zu bekommen ist – ist die intendierte Spielerfahrung eine, die von gesprochenen Sprachen gänzlich Abstand nimmt. In der Standardvariante kommunizieren die Figuren von Tame It! nämlich ausschließlich in Emoji-Form miteinander. Entsprechend lesen Spieler:innen eben auch keine Texte, sondern müssen die Emoji in den Sprechblasen der Figuren korrekt interpretieren.

Manche der Emoji-Sätze sind leichter zu verstehen als andere, nicht nur für Cat und Lee. Quelle: Tame it!, Manka Games.
Dieses System hat mehr als nur einen Nutzen. Einerseits sorgt es für erhöhte Zugänglichkeit aus diversen Ländern, ohne dass für alle davon Übersetzungen notwendig sind. “Es war eine alte Idee von mir, bei der es ursprünglich darum ging, ein Spiel zu entwickeln, das für jeden auf der Welt zugänglich ist, nicht nur für diejenigen, die kein Englisch können, sondern wahrscheinlich auch für diejenigen, die überhaupt nicht lesen können,” erklärt mir Asmodeev, einer der Entwickler und Gründer bei Manka Games, dem Team hinter Tame It!. Doch das war nicht der einzige Grund, denn die Emoji-Sprache sollte auch Teil der Narrative und direkt mit dem Gameplay verwoben sein. “Das Konzept war mit einer anderen Idee kompatibel, nämlich der Möglichkeit, als Protagonist mit den Spielfiguren durch das Bilden von Sätzen zu kommunizieren.” Denn um mit den beiden Tierfrauen im Spiel zu kommunizieren, muss Lee sich zunächst auf rudimentäre Sprechakte mit ihnen einigen. Dafür stellt das Spiel zwei Minigames bereit, in denen die zu lernenden Worte jeweils durch ein passendes Emoji dargestellt werden. Bei einem davon sucht man das richtige Symbol aus einer Vielzahl herabfallender Emoji heraus, beim anderen verbindet man die korrekten Emoji im symbolisch dargestellten Gehirn des Gegenübers.

Ein Minispiel simuliert das Erlernen neuer Wörter mit herunterfallenden Emoji. Quelle: Tame it!, Manka Games.
Tame It! simuliert so das Erlernen einer neuen Sprache bei Cat und Octa: Einmal mit dem Prinzip “Drauf zeigen und den Namen sagen” von Lees Seite aus, einmal von der Verknüpfung des Wortes mit dem Konzept in der Kognition der Tierwesen. Die Emoji, die in den Textboxen und den Lern-Minispielen übereinstimmen, simulieren das Lernen dieser gemeinsam verhandelten Sprache auch für den*die Spieler*in. Wie Cat und Octa müssen Spieler*innen die Emoji erst einmal zu interpretieren lernen. Das ist manchmal einfacher, etwa bei Emoji, die für das Spiel eigens gezeichnet wurden und Lee, Cat, Octa, die Pilotin Tonya oder auch Baumaterial wie Bambus oder Steine direkt darstellen, manchmal auch deutlich schwieriger bei Konzepten wie “Liebe” und Verben wie “mögen”, oder “essen”. Wie Lee, Cat und Octa müssen eben auch die Spieler*innen eine neue Sprache lernen, um Tame It! zu verstehen. “Es ist schwer, Emoji-Ausdrücke zu entziffern, wenn man nicht an sie gewöhnt ist. Es ist wie ein Rätsel ohne klare Antwort,” beschreibt Asmodeev.

Aus gelernten Begriffen (also Emoji) können simple Satzkonstruktionen gebaut werden. Meistens bestehen diese aus einem Subjekt-Verb-Objekt-Aufbau, oft ist die Reihenfolge jedoch variable. Quelle: Tame it!, Manka Games.
Was macht Emoji linguistisch aus?
Neben dem leicht durchschaubaren Survival-Aspekt ist die Übersetzung in eine beiderseitig verständliche Zeichensprache das eigentliche Gameplay des Spiels. Zusätzlich erschwert wird das dadurch, das Emoji zwar sprachverwandt sind, aber eben keine eigene Sprache. Bestes Beispiel: Ich kann diesen Text nicht in Emoji schreiben, sodass ihr ihn versteht. Warum also klappt es in Tame It?
Die linguistischen Grundlagen von Emoji sind zwar etwas schwer zu durchschauen, beziehen sich aber eigentlich auf etablierte Konzepte. Sprich: Emoji sind keine ‘neue’ Art der Kommunikation, sondern eine neue Ausdrucksform einer sozialen Praxis. Internetlinguistin Gretchen McCulloch ordnet Emoji in ihrem Buch Because Internet in die Kategorie der Embleme ein. Embleme sind eine Art Zwischenschritt zwischen Zeichen (also dem, was wir gemeinhin als Wörter verstehen, unabhängig von syntaktischen oder grammatikalischen Zusammenhängen) und Symbolen (also Bildern, die für ein Konzept stehen, das wir kognitiv verarbeiten können – etwa das Bild eines Baumes, das uns an das Konzept Baum denken lässt). Embleme können für beides stehen, aber für keines davon komplett. Klassische Embleme sind beispielsweise Gesten, etwa das OK-Zeichen, ein Zwinkern, Kopfschütteln und so weiter. Ihr merkt, für viele dieser Gesten gibt es entsprechende Emoji.
Ein Merkmal von Emblemen, das auch für Emoji gilt, ist, dass sie Teil einer syntaktischen Struktur sein oder für sich allein stehen können. Beispiel: Das “Thumbs Up”-Emoji und “wenn ihr pünktlich seid, dann ‘Thumbs Up’-Emoji” funktioniert in einem Chatkontext beides.
Wenn Emoji also Embleme sind, dann haben sie auch das gleiche Problem, unter dem Embleme leiden – oder besser gesagt ihre Nutzer*innen, wenn sie nicht aufpassen. McCulloch (S. 140f) beschreibt das so: “Emblemgesten haben präzise Formen und feste Bedeutungen. Sie mögen universell erscheinen, weil sie oft andere Gebiete abdecken als Sprachen: Der Mittelfinger oder Digitus Impudicus galt auch im antiken Griechenland und Rom als unhöflich, während das V-Zeichen mit der Handfläche nach innen in einigen englischsprachigen Ländern ‘Leck mich’ bedeutet, in anderen nicht. Aber letztlich sind Embleme willkürlich und kulturspezifisch.” Viele andere Gesten lassen sich finden, die nicht universell sind (in manchen Ländern bedeutet Kopfschütteln ‘Ja’ und Nicken ‘Nein!’), und ähnliches gilt auch für Emoji. Manche bedeuten in einigen kulturellen Kontexten andere Dinge als in anderen. Das besondere am Internet ist, dass diese Kontexte nicht mehr unbedingt durch Sprach- Landes- oder Kulturgrenzen abgesteckt werden, sondern oft auch durch ein In- und Außergruppentum in bestimmten Online-Communities. Wer sehr ‘online’ ist, weiß sofort, was ein Auberginen-Emoji und ein Pfirsich außer vitaminreicher Kost noch bedeuten kann. Wer sich nur auf WhatsApp in der familieneigenen Planungsgruppe aufhält, allerdings eher nicht. Viele kulturelle Kontexte lassen sich eins zu eins auf bestimmte Bedeutungen übertragen (zum Beispiel eben Gesten wie “Daumen Hoch” auf das entsprechende Emoji), erklären aber keine Zweitbedeutungen derselben Emoji, die sich vielleicht im Internet gebildet haben.
Also zurück zur Frage: Warum funktioniert Tame It! nun überhaupt? Erstens, weil viele der genutzten Emoji direkt auf mit dem Körper durchgeführte Handlungsverben bezogen sind und daher Körperteile in Aktion zeigen (küssen, essen, gehen) oder ganz direkt Gegenstände abbilden (Steine, Flugzeug, Wasser). Zweitens, weil es ein gewisses Grund-Know-How an Internetwissen einfach voraussetzt. Nicht viel – es werden beispielsweise eben grade keine Auberginen und Pfirsiche genutzt, dafür haben Manka Games einfach Penis- und Po-Emoji selbst gezeichnet. Stattdessen betrifft das eher einige der Gesichtsausdrücke, die das Spiel mit regulären Emoji abbildet und deren Doppeldeutigkeit es nutzt. Das betrifft zum Beispiel das Schweißtropfen-Emoji, das im Internet auch gerne als angedeutete Ejakulation genutzt wird.
Wie setzt man ein Spiel in Emoji um?
An einem so komplexen Gesamtkunstwerk wie einem Videospiel ist aber natürlich nicht nur interessant, wie es am Ende aussieht, sondern auch, wie es entstanden ist. Eine Emoji-Sprache einzubauen, hat Manka Games vor mehr als ein Problem gestellt. “Die Textversion, einschließlich der englischen Version, nimmt dem Spieler die Notwendigkeit, die Sprachbarriere zu überwinden. Aber die Sprachbarriere ist einer der Eckpfeiler dieses Spiels”, so Asmodeev. Diese Sprachbarriere existiert nicht nur beim Entziffern durch die Spieler*innen, sondern sie war auch in der Entwicklung des Spiels eine wichtige Baustelle. “Die Schnittstelle des Spiels wurde ursprünglich für Emoji geschaffen und stellt Anforderungen an die Kürze der Sprache, die nicht mehr als 80 Zeichen auf drei Textzeilen in einem Satz beträgt,” erklärt Asmodeev. Tame It! wurde also mit dem Gedanken an die Emoji-Sprache als Spielart entwickelt, die regulären Sprachen wurden erst später unter den Beschränkungen der für Emoji gemachten Textboxen eingebaut. Im Spiel zeigt sich die Beschränkung nicht nur an den kurz gehaltenen sprachlichen Äußerungen der Figuren, sondern auch wenn man Emoji nutzt: Maximal fünf Emoji können eine Textbox füllen, häufiger und besser verständlich sind drei. Oft werden die fünf auch nur durch Verdoppelung eines Emoji erreicht, eine Maßnahme, die das entsprechende Zeichen besonders betont.
Die Entwicklung der Zeichenfolgen, die möglichst verständlich den Sinn von Lees Aussagen an die Spieler*innen übertragen sollte, folgte laut Asmodeev einem festen Schema aus mehreren Schritten. “Im ersten Schritt bereiten wir Dialoge vor, die nur aus Schlüsselwörtern bestehen, die sich relativ leicht in Emoji übersetzen lassen. Der zweite Schritt besteht darin, vorhandene Emoji zu finden und auszuwählen. Wenn kein passendes Emoji gefunden wird oder wenn es aus irgendeinem Grund nicht zu uns passt, fügen wir diesen Begriff der Liste zum Selbstzeichnen hinzu. Nachdem wir alle neuen Emoji gesammelt und erstellt haben, fügen wir sie dem Spiel hinzu, indem wir die Dialoge aus den Schlüsselwörtern der gesprochenen Sprache in Zeichenketten von Emoji-Kennungen umwandeln.”
Ein Beispiel aus Manka Games’ Transkriptionsdatenbank sieht dabei so aus:

Datenbank-Beispiel von Manka Games, das den Übersetzungsprozess von Englisch in eine standardisierte Phrase und dann in Emoji zeigt.
Die Beispiele der Tabelle zeigen außerdem eine Problematik der Emoji, die während des laufenden Spiels nicht klar wird, weil dort der Kontext der umgebenden Situation vorhanden ist: Viele der Emoji-Stränge sind kaum verständlich und ohne die nebenstehenden Übersetzungen niemals einer bestimmten Situation zuzuordnen. Höchstens eine gewisse Grundstimmung lässt sich aus den Emoji ablesen – hier finden wir erneut Bestätigung für die These, dass es sich bei den Emoji, wie wir sie einsetzen, um Embleme handelt. Im Spiel hilft die dargestellte Gesamtsituation eifrig mit, Verständnis zu wecken, etwa wenn die im Beispiel markierte Zeile, die mit “Shit, I woke her up!” übersetzt wird auch nachts in der Nähe der wachgewordenen Cat abgespielt wird – Kontext, der aus der Emoji-Kette alleine einfach nicht ersichtlich wird.
Deswegen mussten auch die Tests der Emoji-’Sprach’version in einer Spieldemo stattfinden, und nicht etwa in einer Tabelle wie hier. Manka testete die Zeichenfolgen in Fokustests mit Personen, die die ursprüngliche Textform nicht kennen. Eine angenehme Überraschung dabei entsprang der Ambiguität der Emoji-Ketten: “Beim Testen haben wir festgestellt, dass einige Spieler*innen neue, unerwartete Bedeutungen für manche Sätze finden, und diese Bedeutungen sind genauso gut wie die ursprünglichen Ideen.” Viele dieser alternativen Ideen fanden anschließend ebenfalls den Weg ins Spiel.
Ob Tame It! nun für jede*n das richtige Spiel ist, sei dahingestellt – ganz unabhängig von seiner Thematik ist das Spiel aber auf seine Art eines der linguistisch spannendsten, über das ich seit langem gestolpert bin. Und es scheint innerhalb seiner Nische durchaus Erfolg zu haben. Die kostenlose Version des Spiels, die das Team auf seiner Website vertreibt, ist mit 600.000 Downloads, vor allem aus Myanmar und Thailand, zum Überraschungserfolg geworden. Leider zogen die Verkäufe via Steam und itch.io nicht nach, die bisherigen Einnahmen reichen jedoch aus, um Manka Games ihr nächstes Projekt zu ermöglichen. Das Team hat sowohl Ideen für ein neues Adult Game als auch für Projekte, die alle Altersgruppen spielen können. Wenn sie mit ihrem nächsten Spiel Erfolg haben, wollen sie jedoch zu einem zweiten Teil ihres Herzensprojekts Tame It! zurückkehren. “Wenn diese Konzepte Anklang finden und zu Spielen werden, hoffen wir, dass sie uns erlauben, die Geschichte von Tame It! fortzusetzen, in der sich das Emoji-Feature weiterentwickeln soll.”
Bibliographie:
McCulloch, Gretchen. 2019. Because Internet. Riverhead Books.