Politische Kommunikation als Monodrama: Axel Voss auf der Gamescom 2019
Axel Voss war zu Gast beim Gamescom Congress. Nach seinem Talk hat Tobias Klös vom Pixeldiskurs die Gelegenheit genutzt, um ihn spontan zu interviewen. Als CDU-Abgeordneter im Europäischen Parlament und Schattenberichterstatter war Voss direkt an der Endfassung der Urheberrechtsreform von 2019 beteiligt. Sowohl für seine aktive Beteiligung als auch für diverse Äußerungen dazu wurde er stark kritisiert.
Ich werde hier nicht auf die Urheberrechtsdebatte an sich eingehen, da sich schon viele Menschen mit diesem Thema befasst haben, wie u.A. auch die von Voss viel kritisierte Julia Reda. Was mich interessiert, ist sein Umgang mit diesem Thema auf dem Gamescom Congress und insbesondere im Pixeldiskurs-Interview.
Er leitet das Interview damit ein, dass er jetzt endlich mal “ohne die ganze Emotionalität” aufklären wolle. Er gibt an, auf dem Congress das Gespräch suchen zu wollen, um “zu vermitteln, warum es nicht so schlimm ist, wie jeder gedacht hat”. Er stehe bereit, um zu erläutern: “Das was ihr permanent im Internet das letzte halbe Jahr gelesen habt, so wird es nicht kommen”.
Ich habe mir seine Aussagen einmal genauer angeschaut und dafür die Pragmatik aus der Linguistik-Schublade herausgekramt. Selbstverständlich haben sich schon schlaue Köpfe Gedanken dazu gemacht, wie Menschen ihre Kommunikation gestalten. Eine Theorie von H. P. Grice z.B. baut auf dem Kooperationsprinzip auf, das im Kern besagt “Sei kooperativ!” Zusammen mit den folgenden vier Konversationsmaximen ergibt sich ein Prinzip, das wir tagtäglich nutzen, um unsere Sprache effizient für eine “vernünftige” Kommunikation zu verwenden.
Konversationsmaximen
- Maxime der Qualität
- Versuche einen wahren Gesprächsbeitrag zu liefern.
- Sage nichts, was du für falsch hältst.
- Sage nichts, wofür du keine hinreichenden Evidenzen hast.
- Maxime der Quantität
- Mache deinen Gesprächsbeitrag mindestens so informativ, wie es für den anerkannten Zweck des Gesprächs nötig ist.
- Mache deinen Beitrag nicht informativer, als es für den anerkannten Zweck des Gesprächs nötig ist.
- Maxime der Relevanz
- Sei relevant. Wechsle nicht das Thema und gehe auf den Gesprächskontext ein!
- Maxime der Art und Weise
- Vermeide Unklarheiten und ungeläufige Ausdrücke.
- Vermeide Mehrdeutigkeit.
- Fasse dich kurz.
- Gehe geordnet vor.
Diese Grundsätze sehen nicht nur auf den ersten Blick sehr sinnvoll und hilfreich aus, will man doch für gewöhnlich, dass das Gegenüber einen nicht belügt, wichtige Informationen weglässt oder einem stundenlang unwichtige mitteilt. Wir erwarten von unserem Gesprächspartner oder auch einem Redner verständliche Aussagen, die einer gewissen Ordnung folgen. Ein Sprecher kann diese Maximen aber nicht nur befolgen – also kooperativ sein– , er kann sie auch brechen oder ausdrücklich aus ihnen aussteigen.
Behaupte ich etwas, das ich für falsch halte, breche ich beispielsweise die Maxime der Qualität. Dies gilt, wenn ich intendiere, dass der Zuhörer es nicht merkt. Fragt mich jemand (warum auch immer) “Hast du etwa die Kanne zerbrochen, während ich weg war?” und ich antworte mit “Nein!”, weil ich hoffe, diesen Umstand durch meinen bereits platzierten Ersatz verschleiern zu können, ist das eine Lüge. Antworte ich auf die gleiche Frage “Nein, nein! die Scherben liegen da einfach nur so rum!”, dann gehe ich davon aus, dass dieser Inhalt ironisch – nämlich als “Ja, selbstverständlich, das siehst du doch!” – verstanden wird. Und auch dies bricht merklich dieselbe Maxime, wenn auch mit anderem Ergebnis. Komplett aussteigen könnte ich nur, wenn ich die Frage einfach nicht beantworten würde.
Diskursbereitschaft
Wie geht Axel Voss also mit den Grundsätzen der Kommunikation um? Inwieweit zeugen seine Aussagen wirklich von Interesse an einer Konversation?
Er fordert, dass ‘man’ “etwas kompromissfähiger auch gedanklich herangeht” und möchte, dass Andere ihre Ängste vor Upload-Filtern ablegen. Außerdem gibt er an, dass Leute seit der Entscheidung auch mal versuchen würden, durch ein sachliches Herantreten mit ihm in den Diskurs zu gehen. Das sei ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen, “da man sich nur noch auf die Person Voss konzentriert hatte und nicht mehr auf das Problem selber”. Wie passt es nun zusammen, dass er genau das fordert, über dessen Eintreten er sich bereits freut?
Das was jemand meint, besteht nicht nur aus dem, was dieser jemand denkt, sondern auch aus der Absicht, den Hörer etwas verstehen zu lassen. Zu diesem Zweck kann man direkte Sprechakte (“Gib mir bitte das Salz!”) oder indirekte Sprechakte (“Kannst du mir das Salz reichen?”) vollziehen. Mit der zweiten Äußerung würde sich im Normalfall niemand nach meiner Fähigkeit erkunden, Salz in die Hand zu nehmen und es zu reichen. Der Sprecher würde sich darauf verlassen, dass ich als Zuhörerin verstehe, dass ich ihm den Salzstreuer geben soll. Hätte ich nicht genug Wissen darüber, dass diese Frage als Aufforderung gemeint sein könnte, würde ich wohl einfach leicht verwundert mit “Ja!” antworten.
Intention
Wir wissen nun, dass Äußerungen nicht die Summe ihrer einzelnen Wörter sind, sondern die Intention des Sprechers und das Verständnis der Zuhörer essentiell sind.
Daher ist es wichtig zu hinterfragen, warum Axel Voss sich genau so äußert, wie er es tut. Es ist doch verwunderlich, dass er das Forum, das ihm geboten wird, trotz ständiger Ankündigung nicht für seinen Aufklärungswunsch nutzt, sondern einen Großteil seiner Redezeit in Interview und Talk dafür verwendet, seinen gefühlten Kampf gegen Kritiker zu beschreiben. Er fordert sehr oft dazu auf, seiner Person, seinen Aussagen und seiner Politik gegenüber offen und kompromissbereit entgegenzutreten, um dann sofort dazu überzugehen, seinen Kritikern Uninformiertheit, Emotionalität oder sogar eine persönliche oder finanzielle Agenda vorzuwerfen.
Was genau seine politischen Aussagen sind, lässt er – abgesehen davon, dass seine ‘Gegner’ sie nicht verstanden hätten – offen. Sein Wunsch, dass Menschen ihre Angst vor Upload-Filtern ablegen sollten, wirkt wie ein Ausrutscher in seiner Verteidigung darüber, dass nie eine Einführung von Upload-Filtern geplant gewesen sei und die Aufregung darüber nur ein Missverständnis – ein “Märchen” – sei, das auf Unwissenheit beruhe.
In jedem Schreibkurs lernt man ‘Soll dein Charakter eine bestimmte Eigenschaft haben, lass ihn etwas tun, das diese ausdrückt!’. Möchte man also eine hilfsbereite Figur, sollte man eine Szene schreiben, in der sie jemandem hilft und nicht einfach behaupten ‘Andrea ist ein sehr hilfsbereiter Mensch!’ Es wäre für Axel Voss also sinnvoll, nicht ununterbrochen von sich zu behaupten “Ich bin offen für Diskussionen”, sondern auch einmal eine Diskussion mit Gegenstimmen zuzulassen und diese dann auch ernst zu nehmen. “Die Gamescom [ist] ein vernünftiges Forum, in dem man das auch machen kann!” wäre ein schöner Ansatz für eine Unterhaltung gewesen. Leider wird eine Diskussion auch hier nur erwähnt, da wie angekündigt keine Gegenstimmen beim Talk zugelassen waren.
Umgang mit Kritik
Voss beschreibt ein Gefühl, das er auf der Re:publica, der laut eigener Beschreibung ‘größte[n] Konferenz zu den Themen Internet und digitale[r] Gesellschaft in Europa’ hatte. “Man schreit immer nach einem zeitgemäßen Urheberrecht, hat aber keine Vorstellung davon, wie das denn aussehen soll. Und vielleicht auch eine nicht richtige Vorstellung davon, was das Urheberrecht schon bewirkt und beinhaltet.”
Nachdem er sich nun also sehr lange über die Emotionalität seiner Kritiker echauffiert hat, gibt er als ‘Gefühl’ an, dass auf der größten Fachkonferenz zu genau seinem Thema, bei der er zusammen mit Markus Beckedahl von Netzpolitik.org auf einer Bühne saß, niemanden gefunden zu haben, der sich mit dem Thema Netzpolitik auskennt. Auch hier kann er nur bewusst die Maxime der Qualität (Sage nichts, was du für falsch hältst) gebrochen haben oder tatsächlich der Vorstellung unterliegen, dass sich niemand auf der Welt außer ihm mit diesem Thema auskennt. Schottet er sich allerdings tatsächlich so vor Informationen ab, die nicht seiner schon gebildeten Meinung entsprechen, ist er eine Fehlbesetzung für jede Entscheidungsfindung.
In beiden Fällen wird klar, dass die Andeutung, Gamescom-Besucher hätten mehr Ahnung von Netzpolitik als republica-Besucher, mit denen “eine solche Diskussion und Austausch letztlich nicht möglich” war, eine reine Abwertung letzterer ist, da er ihre Kritik nicht akzeptiert und auf diese nicht eingehen möchte. Er hofft mit dieser Schmeichel-Strategie auf der Gamescom auf mehr offene Arme. Eine Kontaktsuche, wie er sie nennt, scheint für ihn nur seiner Seite gegenüber kritiklos ablaufen zu können.
Eine Verteidigungsstrategie
Seine scheinbare Diskursbereitschaft entpuppt sich im Laufe seiner Redezeit immer mehr als eine Methode, um sich als sachlichen Gegenpol zu seinen Kritikern zu inszenieren, die er als Gegner in einer “Schlacht” empfindet, sondern auch als schlicht uninformiert beschreibt. Diese stellt er nicht nur als emotional und ängstlich dar, sondern auch als Menschen mit apokalyptischen Vorstellungen, die beruhigt werden müssten. Er möchte sich in einer Opferposition sehen, in die er vollkommen ohne eigene Schuld durch eine unsachliche und emotionale Berichterstattung und Diskussion geraten ist.
Er behauptet, in einem Gesetzgebungsprozess sei es ab einem bestimmten Zeitpunkt zu spät für Diskussionen und lässt es so wirken, als hätten sich Gegenstimmen erst viel zu spät hören lassen, wo ihn doch lange vorher Fachkundige mit fundierter Kritik konfrontiert haben. Wahrscheinlicher ist hier, dass er jede konstruktive Kritik sehr lange ignoriert hat und sich dann später über die Wut (die Emotionalität, die er Reform-Gegnern unterstellt) über diese Ignoranz überrascht zeigte. Absehbar war diese allerdings schon lange. Tatsächlich zu spät ist die Diskussion über ein Vorhaben erst nach der Einführung. Aber auch an dem Punkt kann und muss man selbstverständlich über die Sinnhaftigkeit der aktuellen Lage diskutieren. Politische Änderungen werden kontinuierlich durchgeführt und sind niemals in Stein gemeißelt.
Sollte Voss Kritik nur als fundiert empfinden, wenn sie als fertiger Gesetzesentwurf vor ihm liegt, muss er verstehen, dass es seine Aufgabe ist, aus den ihm gemachten Vorschlägen einen zu entwerfen und nicht die von Journalisten oder Netzaktivisten.
Eine Angriffsstrategie
Bevor er zu einer sehr starken, unfundiert vorgebrachten und persönlichen Anschuldigung von Rezo (bezüglich dessen CDU-kritischen Videos) ansetzt, stellt Voss nun interessanterweise fest, dass “wenn eine Debatte zu emotional wird, Sachargumente keine Rolle mehr spielen und dann nur noch im unsachlichen Bereich Gründe gesucht werden, um einen zu diskreditieren”.
Er klagt “die YouTuber-Szene” als “hochkommerziell” an. Da es für einen Politiker vermutlich nicht verwerflich ist, mit seiner Arbeit Geld zu verdienen, muss Voss hier auf etwas anderes anspielen. Das wird etwas deutlicher, als er über mögliche Werbeblöcke redet, der – gehen wir davon aus, dass er beim Thema geblieben ist – für Rezos Video steht. Da darin eine Meinung und Informationen gegen seine Partei vermittelt werden, setzt er es mit kommerzieller Werbung für Unternehmen gleich. Sofort danach wirft in den Raum, dass man auch für solche Formate eine Richtigstellungen einfordern können sollte. Indem er den Inhalt des Videos nicht anspricht, geht er bewusst nicht auf die darin enthaltene Kritik an, weswegen auch die geforderte Richtigstellungen kontextlos stehen bleibt. So bringt er die Zuhörer dazu, anzunehmen, es seien Falschinformationen verbreitet worden, ohne dies tatsächlich in Worte zu fassen oder auch nur irgendwie zu belegen. Er bleibt hier wieder bewusst mehrdeutig.
Bühneninszenierung
Schon der Titel des Congress-Talks ist mit “Don’t kill the messenger – Netzpolitik und politische Kommunikation im Zeitalter von YouTube” sehr aussagekräftig gewählt. Axel Voss wird hier nur als Überbringer einer Nachricht und als vollkommen unbeteiligt an der Reform präsentiert, obwohl er doch mit für die Änderungsanträge verantwortlich war. Gleichzeitig inszeniert es ihn als Opfer einer Hetzkampagne. Der Moderator Daniel Finger unterstützt diese Themensetzung mit seiner Aussage, dass der Titel nicht ‘Wir streiten wieder über die Urheberrechtsreform’ sei, da ansonsten auf der Bühne noch ein paar andere Leute sitzen würden, die das besser könnten als er und framed den Politiker als “meistgehassten Mann des Internet”. Er teilt grinsend mit, dass er zwar Fragen zu der Reform zulasse, aber nur höfliche. Diese Aussage ist ganz klar nur themenrelevant, wenn er vermutet, das Publikum habe andere Absichten.
Nun muss man dazu sagen, dass der Raum, in dem der Talk stattgefunden hat, ein sehr kleiner ist. Man konnte zwar eine Live-Aufzeichnung mitverfolgen und auch per App Fragen stellen, die aber natürlich leicht ignoriert werden konnten, da sie nicht – wie z.B. manchmal im Fernsehen – eingeblendet wurden, sondern vom Moderator abgerufen werden konnten.
Diese geschätzten 30 Konferenzbesucher vor Ort waren außerdem das Publikum des Gamescom Congress, der abseits der Gamescom stattfand und sich an “Kulturschaffende, Pädagogen, Politiker, Wissenschaftler, Journalisten und Wirtschaftsvertreter aller Branchen” richtet. Ob der Moderator hier aus dieser Gruppe heraus wüste Beschimpfungen erwartet hat oder nicht, durch seine (unnötige) Zurechtweisung direkt am Anfang der Veranstaltung zieht er jegliche mögliche Kritik – genau wie Voss selbst – auf eine emotionale und unfundierte Ebene. Durch diese persönliche Vorab-Unterstellung entwertet er jeden Punkt, der gegen die Urheberrechtsreform vorgebracht werden könnte. Fragesteller kommen nun in die Situation, sich persönlich von dieser Emotionalität freisprechen zu müssen und übertrieben “neutral” (also auf Voss’ vermeintlicher Seite) zu sein oder einfach nicht ernstgenommen zu werden. Auch ersteres rettet sie oft nicht vor diesem Schicksal.
Finger erwähnt kurz, er hätte viel an der Reform auszusetzen, schwenkt dann aber schnell dazu über den Umgang von Menschen mit Voss und davon wie “andere mit anderen Menschen umgegangen seien” zu kritisieren. Da man leider nicht erfährt welche Menschen wie mit welchen anderen Menschen umgegangen sind, bleibt dies eine inhaltsleere Aussage, die Voss’ Verhalten überhaupt nicht erwähnt. Er vermutet, dass kein bleibender Schaden bei Voss entstanden sei, würde ihn jetzt aber auch nicht eine Stunde lang trösten wollen. Die Sympathien sind hier klar. Schon die Vorstellung des Gastes bestand also aus der Einordnung von Voss in eine Opferposition, die es nun im Folgenden zu verteidigen galt.
Eigene Positionierung
Auf die Frage, was er im Nachhinein anders machen würde, antwortete er, dass er die Kommunikation nun anders angehen würde, was ein kurzer Lichtblick war. Direkt im nächsten Satz wurde allerdings klar, dass er nicht seine Kommunikation verbessern wollte, sondern die seiner Kritiker, der er versuchen würde “Im Vornherein besser gegen zu steuern”. Er gibt hier also als einzigen Fehler seinerseits an, dass er Kritik nicht genug entgegen gesetzt hat. Dass diese möglicherweise berechtigt gewesen sein könnte, kommt für ihn zumindest scheinbar nicht in Betracht.
Daniel Finger sieht die Diskussion um die Urheberrechtsreform als “befeuert durch das, was uns heute medial zur Verfügung steht. Das wird glaube ich noch intensiver werden und da wäre es doch hilfreich, vielleicht eine Idee zu bekommen, wie man auch kontrovers solche Themen diskutieren kann. Insofern sehe ich mich heute nicht nur als Moderator, sondern vielleicht auch so ein bisschen als Paar- oder Gesprächstherapeut, der versucht zu verstehen, wie kommt jemand wie Herr Voss dazu, sich so zu verhalten, wie er es tut. Wie kommen solche Leute aus dem Netz dazu, sich so zu verhalten, wie sie es tun und zu überlegen, kann man das nicht produktiver machen”. Auch das wäre in der Tat eine sehr interessante Unterhaltung gewesen. Bedenkt man, dass eben nur Axel Voss anwesend war und Finger am Anfang erklärt hat, warum explizit keine Gegenseite eingeladen wurde, wirkt diese Behauptung sehr deplaziert. Hier muss man sich fragen, ob er bewusst die Unwahrheit sagt oder ob er tatsächlich der Meinung ist, es sei sinnvoll, die Beweggründe von Axel Voss Kritikern durch dessen Augen nachvollziehen zu können.
Konversationsbereitschaft
Mit seinem Beitrag über Rezo ab, für den er nicht nur nicht die nötigen sondern gar keine Evidenzen hat, bricht Axel Voss schon die erste Konversationsmaxime.
Als ein Beispiel von vielen für die weiteren Maxime sei hier eines vom Ende des Panel-Gesprächs genannt. Finger konfrontiert Voss damit, dass “die nächste Generation” mehr von ihm erwarte. Kleinere Änderungen seien nicht immer genug, sondern es müsse auch umfassendere, grundlegende Reformen, z.B. des Urheber-, Zitats- und Leistungsschutzrecht geben. Auf die Frage, ob er vorhabe, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, antwortet Voss, es sei schwierig Strukturen, die sich zum Beispiel in der Öffentlichkeitsarbeit eingefahren hätten, zu verändern. Er macht einen kurzen Schlenker zu seiner gewonnenen Erfahrung durch die Urheberrechtsreform, erwähnt kurz vage, dass das etwas sei, “wo wir uns absolut ändern und öffnen müssen”, nur um danach zu erwähnen, dass es durch den Kontakt und Austausch der gesucht werden müsse, sehr viel langwieriger werden würde. “Wenn sie dann 60 000 Emails in 2 Wochen bekommen. Dafür haben wir dann auch nicht die Manpower, da mit jedem einzelnen in Kontakt zu treten.”
Gehen wir noch einmal zurück zur Frage, ob Voss vorhabe, sich mit grundlegenden Reformen zu befassen. Was war daraufhin nun die Antwort? Ging sie eher in die Richtung “Ja, aber es wird lange dauern, da wir ja jedem einzeln antworten müssen!” oder eher “Nein/Wir würden ja! Aber es würde einfach zu lange dauern, sich mit so vielen Leuten zu unterhalten!”?
In Hinblick auf die Maxime der Quantität (Gib nicht mehr oder weniger Informationen als notwendig) finden wir hier einerseits zu viele Informationen, die nicht notwendig waren, andererseits aber nicht die, nach denen gefragt wurde. Es geht sogar so weit, dass dem Hörer nicht einmal mehr klar wird, ob die Antwort nun eigentlich überhaupt noch eine Relevanz zur Frage hat. Dieses Antwortverhalten findet sich an sehr vielen Stellen des Interviews als auch des Talks und scheint typisch für Voss zu sein.
Er fasst sich bewusst nicht kurz, wenn es um Kritik an seiner Person geht, deutet aber zu jedem Punkt, den er bringt, etwas an, ohne es auszuführen. Er lässt bewusst Unklarheiten und verschiedene Interpretationen zu, so dass er immer seine eigene liefern kann. Die Maxime der Art und Weise scheint er gar nicht zu schätzen! Wirklich kooperativ antwortet er nur auf Fragen, die ihm für sich selbst nützlich erscheinen, wie auf einige spezielle fachbezogene Publikumsfragen.
Axel Voss bricht alle vier Konversationsmaxime, die doch eigens dafür da sind, um erfolgreich und kooperativ zu kommunizieren.
Ein Politiker zu Gast bei Freunden?
Wofür war sein Besuch des Gamescom Congress gut? Axel Voss betont wiederholt seine Diskussionsbereitschaft, lässt aber keinerlei Gegenrede vor Ort zu und bezeichnet alle bis dahin vorgebrachte Kritik als emotional aufgeladen und aggressiv, um sie zu diskreditieren. Selbst der Berichterstattung – also der Presse – wirft er vollkommen anhaltslos Desinformation aufgrund einer angeblichen Antipathie ihm gegenüber vor. Auf der Gamescom hatte er – anders als auf der ihm verhassten re:publica – die Gelegenheit mehr zu Menschen sprechen als mit ihnen. So konnte er seine eigene Meinung verbreiten, wie z.B. dass es keine Alternative zu Upload-Filtern gäbe, ohne auf Kritik an seiner Arbeit eingehen zu müssen.
Ganze zwei Minuten seines Auftritts wurden dafür genutzt, einen Ausschnitt aus einem Bud Spencer und Terence Hill-Film zu zeigen, in dem die beiden Hauptdarsteller mit dem Auto in eine wehrlose Festgesellschaft hineinrasen und diese – da kontextlos gezeigt – einfach und mit viel Freude verprügelt. Auf die Köpfe der sich verteidigenden Opfer wurden Gesichter von deutschen Politikern geschnitten. Finger lobt den lachenden Axel Voss für seinen bewiesenen ‘Humor’, obwohl die Szene doch genau das Szenario wiedergibt, in dem er sich gerne präsentiert: als unschuldiges Opfer eines aggressiven und gewalttätigen Mobs innerhalb “der Schlacht ums Urheberrecht”, wie er selbst sie nennt.
Solospiel
Auch wenn Daniel Finger immer wieder Ansätze sucht, um Axel Voss kritische Fragen zu stellen oder Vorschläge hinsichtlich einer erfolgreichen Kommunikation zu machen – wie zum Beispiel die frühzeitige Einbindung von betroffenen Gruppen oder Experten in Gesetzgebungsprozesse – zeigten sich in anderen Themenbereichen sehr deutliche Schwachstellen des Talks, zu denen er Voss jede noch so unsinnige Aussage durchgehen ließ.
Direkt am Anfang stellte Finger klar, dass der Talk keinen Fokus auf eine Urheberrechtsdiskussion hätte. Er sei eben kein Jurist oder Netzaktivist und hätte ansonsten weitere Leute eingeladen. Aber wenn es wirklich um das Aufdröseln einer fehlgeschlagenen Kommunikation ging, wieso wurde dann Axel Voss eine so große Plattform geboten, um unwidersprochen eine ganze Stunde lang genau seine Sicht auf die Dinge – inklusive seiner schweren und absurden Anschuldigung, Kritiker seien von politischen Gegnern finanziert – verbreiten zu können?
In dieser Hinsicht hat sich der Gamescom-Besuch für Axel Voss sehr gelohnt. Das Bild des armen Gehetzten steht und er musste sich dafür nicht mit lästigen Fakten auseinandersetzen. Auf seinen Auftritt eingelassen hat er sich nur, weil er die Gamescom-Besucher für leichte Beute hielt, die er durch Schmeichelei und Opferhaltung für sich gewinnen kann. Die Organisatoren dieses Talks sollten sich überlegen, ob es wirklich in ihrem Interesse ist, sich im nächsten Jahr wieder als politische Werbefläche missbrauchen zu lassen.
Online-Quellen:
Bild:
- Vorschaubild: Gamescom Congress-Flyer
- Bühnenbild: Aufnahme von Tobias Klös
Literatur:
- Huang, Yan (2014): Pragmatics. Oxford: Oxford University Press.
- Searle, John (1982): Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Eine Antwort
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