Das Märchen vom unproblematischen Witz: Der Bachelor hat heute keine Rose für dich, Internet
Es ist ein betrüblich normaler Fall im Internet: Ein reichweitenstarker Mann macht auf Social Media einen frauenfeindlichen Witz (Nein, es ist nicht Der Bachelor persönlich). In den Kommentaren kritisieren, belehren und verlachen ihn viele Leute, teilweise ebenso reichweitenstark, um den Schaden einzudämmen. Beziehungsweise um überhaupt erst einmal ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Schaden entstanden ist. Und mindestens genauso viele Leute ärgern sich über diese Antworten, ermutigen den Originalposter, sich nicht unterkriegen zu lassen, gratulieren ihm dafür, die “Snowflakes” “getriggert” zu haben und so weiter. Das ist Tagesgeschäft auf Twitter, Facebook und Co. und hat eine vorhersehbare, immer gleiche Eigendynamik.Jeder Versuch, tatsächliche Aufklärung gegen solche problematischen Witze zu betreiben, benötigt daher einen unglaublichen Kraftaufwand. Trotzdem tun es immer wieder Leute. Nicht nur in den Antworten direkt auf den jeweiligen Post. Nein, in deutlich längeren, ausargumentierten Blogartikeln oder Audiokommentaren versuchen auch gerne einmal Psycholog*innen, Sozialwissenschaftler*innen und sogar Historiker*innen – Sachverständige unterschiedlichster Fachrichtungen, die wissen, wovon sie sprechen – auf diverse reaktionäre Verhaltensmuster und deren Schadpotenzial hinzuweisen, diese zu entkräften und positive Gegenbeispiele zu liefern. Die oben beschriebenen Menschen, die Antworten auf die kritischen Antworten schreiben, erreichen diese Artikel selten. Trotzdem braucht es sie. Und ich denke, es kann nicht schaden, diesen Fachmeinungen, Ermüdung hin oder her, noch eine weitere hinzuzufügen: Reden wir aus kognitionslinguistischer Perspektive über sexistische Witze im Internet.
Corpus Delicti: Der Bachelor, der Tweet, die Bohne
Aufhänger dieses Artikels ist ein aktueller Tweet von Rocket Beans TV-Mitgründer Etienne Gardé. In diesem macht er sich nicht zum ersten Mal über Kritik an destruktiven Ausprägungen von als männlich konnotierten negativen Persönlichkeitsmerkmalen lustig, indem er mit einem vermeintlich weiblichen, negativen Persönlichkeitsmerkmal kontert, das er beim Fernsehabend mit Frauen bei Der Bachelor beobachtet zu haben behauptet:
Wenn man sich mit Diskussionsstrategien ein wenig auskennt, egal ob man sie analysiert oder selbst anwendet, dem fällt schnell auf, welche Taktik Gardé hier benutzt: Den sogenannten Whataboutism. Auf eine geäußerte Kritik an einer Sache, in diesem Fall einem generellen Diskurs um die Schädlichkeit der sogenannten Toxic Masculinity, kontert er mit einer vermeintlich anderen schädlichen Sache, “Lästern unter Frauen”. Der Mechanismus dahinter: Wenn es andere schlechte Themen gibt, dann lohnt es nicht, speziell dieses eine schlechte Thema in den Blick zu nehmen. Ein anderer möglicher Interpretationsweg ist auch: Diese Sache x, die ich hier im Kontrast bemängele, ist viel schlimmer als das von euch genannte Problem y, also sollte man sich über y nicht aufregen, solange x nicht geregelt ist.
Das ist natürlich Unfug, aus rationaler wie auch aus diskussionsethischer Sicht. Nur weil es auch andere Probleme gibt, entwertet das nicht die Lösungsversuche an einem speziellen Problem. Wer sich nur eines einzigen Problems annimmt, ist kein fragwürdiger Mensch, weil er sich nicht allen anderen großen oder kleinen Problemen annimmt, denn das kann niemand. Wer mit Whataboutism argumentiert, der ist nicht an einer echten Diskussion orientiert. Er dient lediglich der Bloßstellung der Gegenseite vor einem Publikum, das nicht involviert genug in die angesprochenen Themen oder geschult genug in Debattentechniken ist, um das Ablenkungsmanöver zu erkennen.
Auf berechtigte Kritik folgen oft reaktionäre Antworten
Diese dem Whataboutism folgende Argumentationslinie wird zudem besonders gerne in der zu Beginn dieses Artikels angesprochenen “dritten Welle” an Posts aufgegriffen, den Antworten auf die den Ausgangspost kritisierenden Beiträge. Meist sind diese einfach zu belächeln: Entweder sie stammen vom Ausgangsschreiber, bei dem wenig verwunderlich ist, dass er seine eigene Meinung rechtfertigt, oder von Accounts mit wenig Reichweite, die im Fahrwasser des größeren Accounts Aufmerksamkeit generieren oder schlichtweg den von ihnen bewunderten Prominenten gegen Angriffe verteidigen wollen. Problematisch werden diese Rechtfertigungen, wenn sie von anderen einflussreichen Personen stammen. Denn dem Ausgangspost wird mit der damit einhergehenden zusätzlichen positiven Aufmerksamkeit eine Aura der Legitimität zugeschrieben. Wie etwa in der Antwort einer Medienschaffenden auf die Kritik eines anderen Spielejournalisten an Gardés Tweet:
Die Antwort greift die Kritik an Gardés Tweet auf ähnlicher Ebene an, wie Gardé Kritik an toxischer Maskulinität zu attackieren versucht: Es sei lächerlich, sich über so etwas aufzuregen, und man solle seine Energie doch anderen, “echten” Problemen zuwenden. Whataboutism also. Im diesen Fall kommt zu dieser bereits im oberen Abschnitt demontierten Art der Scheinargumentation noch ein weiteres Problem, denn sie wird von einer medienschaffenden Frau mit reichlich Bekanntheit in der Gamingszene und vielen Followern geführt. Weil diese die Kritik an Gardés Stereotypisierung von Frauen kritisiert, legitimiert sie als Frau genau diese Vorurteile. Indem sie den Tweet als Witz abtut, versucht sie zwar, dem Sexismus den Stachel zu nehmen, aber wie ich weiter unten noch genauer ausführe, ist das völlig irrelevant für den kritisierbaren Schaden. Für den üblichen, nicht in den umliegenden Diskurs einbezogenen Leser ergibt sich ein klares Bild: Wenn eine Frau das nicht schlimm findet, dann wird es schon nicht schlimm sein. Auch Gardé ist sich dieser Taktik wohl bewusst und benutzt sie etwa in der Morgensendung Moin Moin vom folgenden Tag, in der er sich vor laufender Kamera in einem Live-Anruf von seiner eigenen Mutter bestätigen lässt, dass sein Witz nicht so schlimm war. Es ist eine Unterart des Tokenism, der Annahme, dass ein Fürsprecher pars pro toto für eine gesamte Gruppe an Leuten steht, die ein Verhalten in Ordnung zu finden scheint. Geradezu komödiantische Berühmtheit hat etwa die ganz ähnlich funktionierende, in U.S.-amerikanischen Rassismus-Diskussionen allgegenwärtige “Mein schwarzer Kumpel hat mir erlaubt, das N-Wort zu sagen”-Zeile erlangt. Ob diese eine Person dabei selbst problematisch ist oder in diesem einen Fall problematisch handelt, ohne sich selbst darüber bewusst zu sein, wird in dieser simplifizierenden “einer für alle”-Argumentation ausgeklammert. Dass dieser Tweet, der von einer ehemals dem Arbeitsumfeld Gardés zugehörigen Person kommt, die Art ihres ehemaligen Kollegen vermutlich nicht objektiv beurteilt und zum anderen nicht stellvertretend für alle hier über einen Kamm gescherte Frauen steht, dürfte dabei den wenigsten Lesern bewusst werden. Medienschaffende, öffentlich sichtbare Personen und dabei insbesondere Frauen sind in der toxischen Kommentarkultur des Internets ständigen Anfeindungen ausgesetzt. Dass diese Menschen ein dickes Fell entwickeln und sich Kommentare und böse Witze nicht so sehr zu Herzen nehmen, wie andere Betroffene das tun würden, ist bewundernswert. Die wenigsten anderen, die der Effekt von Tweets wie Gardés mittelbar oder unmittelbar trifft, werden aber über lange Jahre aufgebaute Resilienz verfügen.
But whatabout the young women?
Ferner ist “Es gibt auch andere Probleme” gerade hier ein besonders fragwürdiges Argument. Sicher ist das Lästern unter Frauen über andere Frauen in Themen wie Körperform oder Sexualität ein soziales Problem, besonders im Diskurs über Medien wie der Serie Der Bachelor. Gardé markiert seinen Tweet hier mit dem entsprechenden Hashtag und steigt so in diesen Diskurs ein, mit dem Frauen, dabei auch oft junge, erreicht werden. Diese weibliche Zielgruppe wird hier pauschalisiert. Das Lästern in der Fernsehkultur um Der Bachelor wird von Gardé hier jedoch zitiert, um seinem Whataboutism eine weitere, scheinbar kräftigende Ebene hinzuzufügen: Ein Vorurteil. Und zwar der Stereotyp, dass Frauen untereinander immer über andere Frauen herziehen. Ein allseits bekanntes, vermeintlich reales Phänomen wird hier dem von Gardé angezweifelten Konzept einer allgemein schädlichen Ausprägung von Männlichkeit gegenübergestellt, um letztere unwirklich und lächerlich erscheinen zu lassen. Eine weiblich negativ konnotierte Eigenschaft wird hier also bewusst verstärkt, um eine männlich negativ konnotierte zumindest vermeintlich abzumildern.
Ich werde mich an dieser Stelle nicht weiter damit befassen zu erklären, warum es toxische Maskulinität überall in unserer westlichen Gesellschaft gibt. Auch nicht damit, dass sie auch für viele der frauenfeindlichen Konzepte, die wir gemeinhin anderen Frauen zuschreiben, verantwortlich ist, weil sie eine Wettbewerbsumgebung unter ihnen schafft, um den Ansprüchen eines auf schädliche Art maskulinen Patriarchats gerecht zu werden. Damit haben sich sehr viel besser geeignete Forscher*innen und Blogger*innen, insbesondere weibliche, bereits oft genug auseinandergesetzt. Klickt die Beispiellinks und bemüht eure Suchmaschinen, wenn ihr euch informieren möchtet und nicht bereits wisst, worum es geht.
Sandwich statt Rose
Ich möchte stattdessen darauf aufmerksam machen, wie problematisch die sprachliche Reproduktion eines solchen Vorurteils für die Diskussionskultur ist, in der wir uns beim Debattieren ernster Probleme bewegen. Kognitions- und Sprachwissenschaftler George Lakoff hat sich, anhand der Berichterstattung über Donald Trumps Kurznachrichten auf Twitter, damit befasst, wie das Framing von Begriffen im Internet funktioniert. Er stieß dabei auf einen simpel klingenden Mechanismus: Wenn Lügen nicht auf eine ganz bestimmte Art als Lügen gekennzeichnet sind, bleiben sie Lesern und Hörern auf lange Sicht als Wahrheit im Gedächtnis – selbst, wenn sie zwar sichtbar, aber unzureichend als Lüge markiert werden. Die richtige Art der Kennzeichnung nennt Lakoff das Truth Sandwich: Zunächst soll die Faktenlage korrekt dargestellt werden, dann die Lüge reproduziert werden, und zuletzt schließlich soll die Lüge korrigiert und mit der Wahrheit kontrastiert werden. Die Methode basiert auf einigen psychologischen Merkmalen des Menschen und der Art, wie wir Sprache kognitiv verarbeiten. Unter anderem nehmen wir Aussagen besser auf, die am Anfang und am Ende eines Themenblocks stehen, und vergessen den Mittelteil tendenziell schneller. Dies ist nicht nur bei der kritischen Rezeption von Trumps Lügen vorteilhaft und nötig. Auch tief eingebrannte Vorurteile müssen so reproduziert werden, damit klar wird, dass sie nichts weiter als unwahre, verallgemeinerte Stereotypen sind. Eine unzureichend einordnende oder gar einordnungslose Verbreitung dieser Stereotypen schafft also nichts weiter, als die Meinung zu verbreiten, sie würden stimmen. Gardé ist Mitbegründer des größten deutschen Gamingkanals im Internet, mit Videopräsenz in unzähligen, an minderjährige Zuschauer gerichteten Videospielformaten und allein auf seinem persönlichen Kanal über 240.000 Twitterfollowern. Mit dieser Reichweite bewirkt sein Tweet also vor allem eines: Leute, Jugendliche, davon zu überzeugen, dass Frauen wirklich schlimme Lästernde sind, egal ob man toxische Maskulinität als reales Problem akzeptiert oder nicht.
Und damit sind wir bei der Mär vom “unproblematischen Witz”, beim obligatorischen “Regt euch nicht auf, es war doch nur ein Scherz”: Es ist egal, ob Gardé die Aussage ernst meint oder nicht. Seine persönliche Vorgeschichte mag auf Ersteres hinweisen, aber auf den Schaden, den er mit seiner enormen Reichweite und der Verbreitung eines so frauenfeindlichen Stereotyps anrichtet, hat das keinen Einfluss. Insofern ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob es ein Scherz war oder nicht, und wir sollten uns darauf konzentrieren, Menschen wie ihm und denen, die ihn unbedarft verteidigen, die Konsequenzen seiner Handlungen begreiflich zu machen.
Humor lebt davon Grenzen zu überschreiten und Tabubrüche sind meiner Meinung nach Humor. Das Problem was wir mit dem “schwarzen Humor” und “anti-pc-humor” haben ist aber dass er keine Tabus bricht. Solche Tweet sind kein Versuch einen politisch unkorrekten Witz zu machen sondern ehrliche Meinung versteckt unter dem Deckmantel der Ironie. Sowas ist inzwischen auch eine klassische alt-right Strategie: Leute über ironischen Humor zu beeinflussen. Auf jeden Fall gibt es einen Platz für problematische Witze, auf jedenfall gibt es einen Platz für menschenverachtende Witze. Die Frage ist nur ob man sich über die Opfer gewisser Strukturen lustig macht oder über die Strukturen an sich. Im Humor kann man Steoreotype ansprechen und mit ihnen spielen. Die Pointe sollte dann nur die Absurdität der Steoreotype sein und nicht das an ihnen etwas dran ist. In diesem Sinne:” 9 von 10 finden Gruppenvergewaltigungen gut.”
Zur Wirkung von schwarzen Humor und den Strategien, mit ihm etablierte Strukturen zu festigen, habe ich tatsächlich gerade einen Artikel in Arbeit, weil das auf dem Game Camp Munich 2019 Thema eines der Talks war und zu einer hitzigen Diskussion mit teilweise wirklich bösartigen Publikumsbeiträgen geführt hat.
Wo ich dir widersprechen muss ist bei diesem Satz: “Humor lebt davon Grenzen zu überschreiten”. Das ist höchstens eine (unvollständige) Definition von schwarzem Humor, aber nicht von Humor im Allgemeinen. Harmlose Witze gibt es schließlich auch, die müssen weder Grenzen überschreiten noch sich ihnen überhaupt annähern, um witzig für bestimmte Leute zu sein – die Subjektivität von Komik sollte man ohnehin nie aus den Augen lassen bei diesem Thema.
Dabei, dass es akzeptabler ist, sich über Strukturen als über die Opfer solcher witzig zu machen, gehe ich voll mit dir konform, daher halte ich deinen Beitrag auch für wertvoll. Ob der von dir zitierte Witz da jetzt unbedingt reinpasst, wage ich allerdings zu bezweifeln.^^
Ja über den zitierten Witz kann man streiten. Humor ist wirklich subjektiv. Gewisse Grundstrukturen wie die Grenzüberschreitung oder die unerwartete Situation sind im Humor aber wohl universell. Auch aus dieser Subjektivität heraus kann ich wohl nichts mit “harmlosen” Witzen anfangen und finde das Kafka der beste Humorist der 20. Jahundert ist. Die klassische Komödie lebt zum Beispiel davon moralisch schlechte Menschen darzustellen. Auch im schwarzen Humor gibt es diese Tendenz. Aber das ist eben für mich (subjektiv) die Basis von Humor: man macht sich über schlechte Menschen oder Handlungen lustig. Man muss nicht mal zur Alt-Right Bewegung gucken. Schon deutsches Youtube hat mit KuchenTV und Juliensblog ein ganz neues Verhältnis zum schwarzen Humor geschaffen. Rassismus und Sexismus einfach nur zu reproduzieren gilt da als Tabubruch und Humor.
Btw. den zitierten Witz gibt es in vielen Ausprägungen wie “9 von 10 haben mit Mobbing kein Problem.” Für mich macht diese Struktur des Witzes eher das oft unsichtbare Sichtbar. Die andere Perspektive. Für mich besteht der Witzt eher darin dass die Aussage stimmt aber etwas über die Gesellschaft aussagt.