Game Studies Roundup #10: Das Wunder der Übersetzung, Spieler als Herrscher, Grenzen und Belohnungen
Im jeden zweiten Dienstag erscheinenden Game Studies Roundup sammeln wir aktuelle Beiträge jeder Machart innerhalb der Game Studies oder aus für Game Studies jeglicher Hinsicht interessanten Inhalten. Egal ob lesens-, hörens- oder sehenswert: Diese Liste schafft Aufmerksamkeit für Projekte, bietet Quellen für eigene Projekte sowie eine dauerhaft nachschlagbare Kuration.
Alle Game Studies Roundups sind hier einsehbar. Interessante Themengebiete können über die jeder Quelle zugeordneten Science Tags komfortabel gesucht werden.
“Making Sense of Memory in Call of Duty: WWII,” by Will Partin
Will Partin, bulletpointsmonthly.com, 15.11.2017
But why are we so worried about glorification anyway? Surely, glorification itself isn’t an issue. Nor is the feeling that we’re being unfair to history – as if such a thing as a fair history existed in the first place. In his rebuke to the pearl-clutching that accompanied the announcement of Battlefield 1, Gareth Damian Martin argues that the game owes nothing to history: “The ideas that are making critics uncomfortable with Battlefield 1 are the same ideas that motivated its creation in the first place: the mythical status of historical wars.”
Zur Relevanz: Woher stammt die Faszination so vieler Menschen mit Kriegen, obwohl uns der Horror vergangener Konflikte nicht entfallen sein sollte? Will Partin beschreibt die Glorifizierung der Weltkriege hin zu Videospielschauplätzen anhand von Erinnerungsforschung.
Science Tags: Psychologie, Geschichte
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Kaugummi-TV: Das Dilemma des vertikalen Storytellings
Torsten Dewi, wortvogel.de, 22.11.2017Was genau ist mit vertikalem (und damit natürlich auch horizontalem) Storytelling gemeint? Dazu gibt es keine exakte Definition, viele Autoren und Akademiker streiten in den Details. Grob gesagt: horizontales Storytelling ist die Vorwärtsbewegung der Geschichte, die Geschwindigkeit der Handlung. Vertikales Storytelling ist die Tiefe bzw. die Breite der Handlung. Wie ein Fluss, der schmal und schnell fließen kann, aber auch breit und langsam.
Was genau ist mit vertikalem (und damit natürlich auch horizontalem) Storytelling gemeint? Dazu gibt es keine exakte Definition, viele Autoren und Akademiker streiten in den Details. Grob gesagt: horizontales Storytelling ist die Vorwärtsbewegung der Geschichte, die Geschwindigkeit der Handlung. Vertikales Storytelling ist die Tiefe bzw. die Breite der Handlung. Wie ein Fluss, der schmal und schnell fließen kann, aber auch breit und langsam.
Zur Relevanz: Der Wandel von Serienformaten betrifft nicht nur die Filmwelt. Auch Spieleformate wie das von Telltale Games etablierte Episodenspiel profitieren von und leiden unter vertikalen Storytelling. Torsten Dewi erklärt das Konzept und weist auf Probleme hin.
Science Tags: Film Studies, Filmwissenschaften, Episoden
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Warum sich der Reiz von Retro-Games mit Jan Assmanns Gedächtnistheorie erklären lässt
Florian Zandt, lostlevels.de, 27.11.2017
Interessant für Videospiele wird es dann bei der mündlichen Überlieferung des kulturellen Gedächtnisses, dem zweiten Stützpfeiler von Assmanns Theorien. Dieses ist auf die Tradition zwischen zwei oder drei Generationen begrenzt, meist informell und ohne strukturellen Rahmen organisiert und entspricht heutzutage am ehesten dem Listenwahnsinn der postironischen Generation Y. Auch Videospiele sind mit ihrer als flüchtig empfundenen Bedeutung und dem Status als mit das wichtigste Medium für in den 80er und 90er Jahren geborene Jugendliche ein gefundenes Fressen für den Aufzählungswahn und damit nahezu automatisch in die „Da rein, da raus“-Schublade des Internets einsortiert. Aber sind Retro-Games wie Pac-Man, Galaga oder Space Invaders nicht schon längst so fest in der Kulturgeschichte verankert, dass sie sich untermalt von nervtötendem Speaker-Piepsen ihren Platz im kulturellen Gedächtnis erkämpft haben?
Zur Relevanz: Wie erinnern sich Gesellschaften an Kulturgüter? Welche Voraussetzungen braucht es, damit digitale Spiele nicht als flüchtiges Erscheinen, sondern fest verankerte Kunstobjekte in Museen und Lehrbüchern landen? In diesem überarbeiteten Repost eines Superlevel-Beitrages beschäftigt sich Florian Zandt mit solchen Fragen anhand von Jan Assmanns Gedächtnistheorie.
Science Tags: Gedächtnis, Erinnerung, Kulturwissenschaft, Sozialwissenschaft
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[Video] Localizing Bungie’s Destiny for the World
Tom Slattery, youtube.com, 15.10.2017
n this 2015 GDC talk, Bungie’s Tom Slattery explains why Bungie assembled its own internal localization team, and how this–along with adherence to a strict set of guiding principles for crafting a localization-friendly shared world–allowed it to overcome localization challenges efficiently while holding the quality of this nascent global brand to an uncompromisingly high bar.
Zur Relevanz: Übersetzungsteams haben mit einer Reihe von sich je nach Spiel stark ändernden Herausforderungen zu kämpfen. Für die Übersetzung von Destiny haben Bungie deswegen ihr eigenes Team zusammengestellt, anstatt sich auf Geschäftspartner zu verlassen. Dieser einstündige GDC-Talk gibt Einblick.
Science Tags: Localization, Lokalisierung, Translation, Übersetzung, Game Design
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The Experience of Flow in Hobby Board Games
Marco Arnaudo, analoggamestudies.org, 29.11.2017
Studying the presence of flow in hobby board games enriches our understanding of recent game practices and helps us explain the expansion of the hobby by giving us a more detailed picture of board games becoming of ever higher quality. Board games are indeed increasing in quality, partially because modern hobby board games more and more often succeed at stimulating flow states of optimal experience in their players.
Zur Relevanz: Dieser Text ist ein wunderbares Beispiel für Forschung an digitalen Spielen, die in andere Bereiche schwappt und dort den Diskurs bereichert. Mit den Methoden der Flow-Untersuchung in Videospielen spricht Marco Arnaudo über Brett- und Gesellschaftsspiele.
Science Tags: Game Design, Board Games, Brettspiele, Gesellschaftsspiele, Flow
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[Podcast] Pixeldiskurs #71 – Trauma & verfallene Körper (mit Arno Görgen)
Sophie Bömer, Tobias Klös und Stefan Heinrich Simond, pixeldiskurs.de, 26.11.2017
Allgegenwärtig umtreiben uns zerfallene Körper infektiöser Zombies sowie die traumatisierten Protagonisten auf Rachefeldzug. Die Repräsentation von Krankheiten durchdringt digitale Spiele, doch bleibt sie zumeist unbemerkt. Mit dem Kulturhistoriker Arno Görgen verschaffen wir uns einen Überblick.
Zur Relevanz: Diese Empfehlung bezieht sich vor allem auf das die zweite Hälfte des Podcasts einnehmende Thema der Woche, bei dem Arno Görgen zu Gast ist, der hauptsächlich an der Krankheitsdarstellung in digitalen Spielen forscht. Zusammen mit Stefan Heinrich Simmond wird das Thema spannend diskutiert.
Science Tags: Krankheit, Psychosen, Game Design
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Digitale Kulissen und die Problematik der ludonarrativen Grenzmarkierung
Bernhard Runzheimer, pixeldiskurs.de, 30.11.2017
Dieses Spannungsfeld von Fiktion und Funktion ist der kritische Punkt, mit dem sich Spieldesigner zunehmend auseinandersetzen müssen, da dieser durch die oftmals schlecht vernähten Kulissen allzu offensichtlich wird. Insbesondere, da sich Schlauchlevel heutzutage lediglich rhizomatisch verkleiden, um die Spieler zu überlisten: Warum kann ich nur durch diese oder jene Tür gehen, nicht aber durch die diversen anderen Türen auf meinem Weg, die mir seltsamerweise verschlossen bleiben? Und warum bleiben sie weiterhin verschlossen, auch wenn ich sie mit meiner M-16, Handgranaten oder einem alles verwüstenden Drachenschrei bearbeite?⁴ Und, schließlich: Was erwarte ich dahinter zu finden?
Zur Relevanz: Wie mit der Begrenzung der bespielbaren Welt umgegangen wird, ist ein Problem, so alt wie Videospiele selbst. Bernhard Runzheimer vergleicht zeitgenössische Methoden mit dem Weltenbau von Filmkulissen und untersucht sie auf ihre Unzulänglichkeiten.
Science Tags: Game Design, Film Design, Grenzen, Räumlichkeit
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The destruction / extinction of digital brutalism
Robert Yang, blog.radiator.debacle.us, 29.11.2017
What is a video game level’s intended “function”? We are not necessarily building “machines for living in.” The task function of a level will differ from game to game, but let’s imagine you were making a level for a game like Battlefield: Bad Company 2 or for Rainbow Six: Siege — then you would be designing a sort of anti-building — a building that exists only to be destroyed as part of the gameplay. The purpose of every building is to age and decay, and these games are merely accelerating that aging process.
Zur Relevanz: Digitale Architektur ist mit realer nur sehr schwer zu vergleichen. Während Häuser Lebens- und Arbeitsräume darstellen, ist die Funktion digitaler Gebäude oft auf kurzes Durchschreiten oder gar komplette Zerstörung beschränkt. Robert Yang beschreibt die Diskussionen seiner Studenten, in denen diese Funktionalität mit den Grundsätzen einer scheinbar unvereinbaren Architekturart kontrastiert werden.
Science Tags: Architektur, Architecture, World Building, Game Design
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The Complexities of Castlevania: SOTN – Traversal
Daniel Johnson, danielprimed.com, 01.12.2017
Overall, we can see that the complexity added to Alucard’s repertoire of traversal mechanics both in terms of the number of mechanics and the complexity of each mechanic lead to more nuanced-driven gameplay. I would argue that very little of the nuance (probably only the extra hop in the double jump) has the ease of use and functional benefit to serve your average play in any meaningful way. (On the contrary, these nuances help buoy the SOTN speedrunning scene). The inclusion of these nuances as well as mechanics with particularly narrow functional purpose clutter SOTNs play experience with unviable options.
Zur Relevanz: In diesem Beitrag, der stellvertretend für Daniel Johnsons ganze Betrachtungsreihe über die Mechaniken von Castlevania: Symphony of the Night steht, analysiert der Autor detailliert die Bewegungsmuster des Protagonisten. Andere Teile der Reihe beschäftigen sich etwa mit dem Zweitwaffensystem des Spiels oder unterstützenden Kampffertigkeiten.
Science Tags: Game Design, Mechanics, Castlevania
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Using Psychology to Design Leveling Systems
Jamie Madigan, psychologyofgames.com, 02.12.2017
Behavioral Economist Richard Thayler conducted similar experiments with tax penalties and lottery winnings where he either lumped together or spread out wins or losses. He found that people like getting their gains lumped together and their losses spread out.1 This basic psychological fact is well established in the literature and has massive implications for game design. You start to see it all over when you start looking for it.
Zur Relevanz: Welche psychologischen Faktoren unterliegen Fortschrittssystemen in Spielen? Jamie Madigan untersucht Erfahrungspunkte- und Lootbox-Konstrukte anhand verhaltenspsychologischer Theorien.
Science Tags: Psychologie, Psychology, Lootbox, Reward, Progression
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Isoliert und Übergewichtig; Asozial und Gefährlich. Der Umgang mit Nerd-Stereotypen in Watch Dogs 2
Kevin Mallinger & Daniel Malzer, spielkult.hypotheses.org, 28.11.2017
Diesen binären Zuschreibungen von Charakteristika liegt augenscheinlich eine Systematik zugrunde. Im Sinne Roland Barthes kann hier von einem Mythos in der Repräsentation des Nerds gesprochen werden. Der Begriff Nerd erweckt zugleich die optische, deskriptive Manifestation sowie auch die Zuordnung der oben erwähnten Adjektiva: unsportlich, isoliert, asozial, und sexuell frustriert.
Zur Relevanz: Die beiden Autoren Mallinger und Malzer analysieren den Anteil an Nerd-Stereotypen, die sie unterschiedlichsten theoretischen Unterbauten entnehmen, in Ubisofts Watch_Dogs 2. Dabei kommen sie zum Ergebnis, dass im Spiel eine Verschiebung hin zu weniger negativ konnotierten, aber trotzdem klischeebehafteten Stereotypen passiert.
Science Tags: Stereotypen, Sozialwissenschaft
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The Lion War: Finding the Voice of Ivalice
Stephen Meyerink, rpgfan.com, 08.12.2017
I marveled at the liquidity of the two English texts, which I had once thought came from an immutable “source text,” whose meaning could be mathematically reduced to something concrete and then rendered into one Objectively Correct English. Much later in my life, a professor told me, “If you give ten translators the same source text, you’ll get ten completely different pieces of writing back.” Thinking back, War of the Lions was my first experience seeing this concept writ large, and it changed the course of my life. No longer was “the original Japanese” something monolithic and unchanging, it was something that could be poked and prodded and nudged endlessly in the pursuit of trying to recreate it in a new form, and that idea still captivates me today.
Zur Relevanz: Übersetzer Stephen Meyerink zeigt die fundamentalen Änderungen auf, die für die Neuveröffentlichung von Final Fantasy Tactics für die PlayStation Portable am englischen Text vorgenommen wurden. Dass Lokalisation kein starrer, auf den Quelltext fokussierter Prozess, ist, sondern kulturelle und zeitgenössische Faktoren mit einberechnen muss, kann er so an einem populären Beitrag zeigen.
Science Tags: Translation, Übersetzung, Lokalisierung, Localisation, Game Design
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„Alles für das Volk, nichts durch das Volk“? Der Mythos des (Aufgeklärten) Absolutismus im Computerspiel Anno 1503
Christian Standhartinger, spielkult.hypotheses.org, 12.12.2017
Für das Spiel Anno 1503 wird dies auf einer komplexeren Ebene sichtbar. Es ist nicht nur die absolute Befehlsgewalt über Truppen und Schiffe, die eine Analogie zu Elementen absolutistischer Herrschaft herzustellen erlaubt, wie wir sie bezogen auf militärische Führungsstärke besonders ausgeprägt in der deutschen Friedrich-Rezeption des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorfinden. Bezeichnenderweise geht es nicht um das Vorhandensein politischer Institutionen, sondern um deren Abwesenheit. Stieß der Anspruch unumschränkter Herrschaft mit dem politischen Gegengewicht „der Stände im Allgemeinen, des hohen Adels im Besonderen und nicht minder im Übrigen der Kirchen“[3] an seine Grenzen, so fehlen all die genannten Gruppen im Spiel Anno 1503.
Zur Relevanz: Als Spieler absolute Macht über die Spielwelt auszuüben, ist gerade im Strategiegenre nichts Außergewöhnliches. Dass das aber nicht nur spielmechanisch relevant ist, sondern auch eine Botschaft über die politischen Verhältnisse im Spiel selbst trifft, zeigt Christian Standhartinger an Anno 1503s unmündigen Bürgern und der absolutistischen Herrschaft des Spielenden.
Science Tags: Absolutismus, Herrschaft, Geschichte, Einfluss, Game Design
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[Podcast] Wolfenstein, Hakenkreuze und verbotene Symbole – Rechtsbelehrung Folge 51
Markus Richter & Thomas Schwenke, rechtsbelehrung.com, 12.12.2017
Da beide Podcasts-Gastgeber gerne Computerspiele spielen, ging an ihnend ie Kontroverse um das neue Computerspiel Wolfenstein II – The new Colossus nicht vorüber. Anders als in der internationalen Version wurden in Deutschland alle Hakenkreuze, Uniformen, gar das Bärtchen von Adolf Hit… Heiler, aus dem Spiel entfernt.
Zusätzlich wurden auch aus unserer Sicht zumindest rein rechtlich nicht notwendige Veränderungen, wie z.B. Entfernung jüdischen Backgrounds bei manchen Spielfiguren vorgenommen. Über diese moralischen Eingriffe sprechen wir jedoch nicht, sondern um die tatsächlich verbotenen Symbole.
Zur Relevanz: Gemeinsam mit RA Felix Hilgert produzieren RA Thomas Schwenke und Markus Richter mit dieser Ausgabe des Rechtsbelehrung-Podcasts die akkurateste mir bekannte Auseinandersetzung mit Wolfenstein: The New Colossus’ problematischer Deutschland-Veröffentlichung. Der Podcast beschränkt sich dabei auf die juristische Perspektive und liefert so eine prägnante und durchweg nachvollziehbar begründete Meinung zum Thema.
Science Tags: Jura, Rechtswissenschaften, Geschichtsrevisionismus, Geschichte, Zensur
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Alle Game Studies Roundups sind hier einsehbar.