Opfermythos und Sexismus: “Gamer” und das Gatekeeping einer Hobbyidentität
Heutzutage sind wir im Grunde alle Spieler*innen. Die meisten von uns haben ein Smartphone in der Tasche, einen Computer zu Hause stehen und schonmal irgendein digitales Spiel gespielt. Falls das, was wir gerne mal unter „Gaming“ oder „Spielkultur“ subsumieren, je die Nische für vor allem weiße, junge Männer war, als die sie noch immer gerne mal gehandelt wird – spätestens im Jahr 2020 ist sie das definitiv nicht mehr. Und das auch nicht erst seit gestern. Trotzdem ist jedes Feiern einer neuen Diversität der „Gamer“ verfrüht und unter dieser Bezeichnung auch noch illusorisch. Denn „Gamer“ ist ein Begriff, der, wenn es nach mir ginge, gerne untergehen kann und soll.
„Gamer“ ist eine Identität
Die Idee, eine Gruppenbezeichnung für Menschen zu haben, die gerne digitale Spiele spielen, ist zunächst einmal natürlich ein banaler Vorgang. Noch weniger überrascht es, dass der Begriff als Selbstbezeichnung theoretisch auch dazu dient, eine Gemeinschaft zu konstruieren, deren Mitglieder eben Spiele im weiteren Sinne als gemeinsames Interesse teilen. Sie bilden eine Gemeinschaft mit eigenen Untergruppen, Dynamiken und inzwischen auch einer eigenen Geschichte im Sinne eines gemeinsamen Gedächtnisses als eine solche soziale Gruppe. Videospiele spielende Menschen werden sich nie alle untereinander kennen, aber trotzdem konstruieren sie eine vage Gemeinschaft, eine Imagined Community, rund um die Annahme der Gemeinsamkeit eines geteilten Hobbys, die sich dann weiter auf einzelne Untergruppen weiter aufteilt. Aus einem Hobby entsteht eine Gemeinschaft und aus einer Gemeinschaft eine Identität.
Die Identität eines einzelnen Menschen als solche ist allerdings natürlich viel komplexer als nur ein einzelnes Hobby. Identität ist etwas, über das sich ein einzelner Mensch definiert. Sie ist vielschichtig. Ich kann mich als Frau identifizieren, als Historikerin, als Studentin, als deutsche Staatsbürgerin, als Bloggerin oder als Programmiererin und habe noch immer nicht annähernd alles abgedeckt, das mich als Person ausmacht. All diese Identitäten haben allerdings eines gemeinsam: Sie existieren nur, weil ich mich damit einer größeren Gruppe und Gemeinschaft zuordnen und im Umkehrschluss von anderen abgrenzen kann. Und dieses Phänomen wird wiederum durch besagte Gemeinschaften und ihre interne Dynamik erhalten. Ein zentraler Teil solcher internen Dynamiken sind vor allem zwei Dinge: Ein gemeinsames Gedächtnis und Kriterien, die das „wir“ von einem externen „die anderen“ abgrenzen. Beides haben „Gamer“ schon lange und beides ist in diesem Fall auch eng verwoben.
Wer ist ein „Gamer“?
Es ist kein Zufall, dass bestimmte ikonische Spiele und Figuren wie z.B. Pac-Man, Pokémon oder sogar Snake bis heute fest im kulturellen Gedächtnis vieler Spielender und sogar darüber hinaus verankert sind. Sei es, weil sie bahnbrechend für ihre Zeit waren, oder eine sehr breite, junge Zielgruppe hatten, die damit als Erwachsene Kindheitserinnerungen verbindet. Bestimmte Spiele haben bei ihrer ursprünglichen Spielergeneration einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Diese Spielergeneration ist inzwischen erwachsen und gibt diese Erinnerungen weiter, zum Beispiel, indem sie diese Spiele jetzt mit ihren Kindern spielen. Sie erzählen also der nächsten Spielergeneration von diesen Spielen und ihrem bleibenden Eindruck, wodurch diese Spiele ganz automatisch in so etwas wie einen Videospielkanon wandern. Am Ende kennen auch Leute, die zu Release noch nicht einmal geboren waren, bestimmte Spiele und ihre Bedeutung, weil andere ihnen diese Titel nahe gelegt und ihre Begeisterung überliefert haben.
Was hat das nun mit dem „Gamer“-Selbstbezeichnung zu tun? So wie bestimmte Spiele Teil dieser Gedächtniskultur wurden, besteht dieselbe Kultur auch zu einem entscheidenden Teil aus einer Idee von Opferschmerz und des Gefühls des ewigen Außenseitertums. Ob gerechtfertigt oder nicht: „Gamer“ fühlen sich seit jeher missverstanden. Von Leuten, die keine Videospiele spielen und deshalb meinen, Spiele wären Zeitverschwendung, von besorgten Eltern, die sich dem Medium grundsätzlich verweigern, und nicht zuletzt von Medien und der Öffentlichkeit per se, die sie als pickelige Kellerkinder stereotypisiert hat, die potentiell jeden Moment einen Amoklauf planen könnten, weil sie zu viel „Call of Duty“ gezockt haben.
Die Idee eines selbst erklärten Opfertums der Underdogs, deren Leidenschaft für ein Hobby einen ständigen Schutz vor Angriffen von außen erfordert, ist tief in der „Gamer“-Szene oder viel mehr dem Konstrukt verankert, das diese Identität überhaupt erst ermöglicht. Die Ursprünge dafür sind nicht vollkommen erfunden und gerade die „Killerspiele“-Debatte im deutschen Raum hat hier tiefe Einschnitte hinterlassen, genauso wie die Jahre der kollektiven Selbstversicherung in der eigenen Opferrolle.
Die Grabenkämpfe sind zu Ende
Denn inzwischen leben wir natürlich in Zeiten, in denen diese Grabenkämpfe sich mehr oder weniger selbst erledigt haben. Für Amokläufe z.B. in den USA werden medial inzwischen meistens eher lasche Waffengesetze als Videospiele verantwortlich gemacht und unsere Welt ist inzwischen ohnehin so digital, dass die Unkenrufe vor Videospielen immer alberner wirken. Selbst als Horst Seehofer nach dem Anschlag von Halle 2019 eine Überwachung “der Gamerszene” verlangte, musste er schon nach ein paar Tagen darauf zurückrudern, dass er ja damit ja nur rechtsextreme Subkulturen gemeint hätte. Die Zeiten der erfolgreichen “Killerspiele”-Rufe sind eindeutig vorbei.
Während die Bedrohung verschwand, ist der Opfermythos geblieben. “Gamersein” gilt noch immer als hart erkämpfter Status in erster Linie junger, weißer Männer, für den sie Blut, Schweiß, Tränen und wahrscheinlich erstgeborene Controller geopfert haben. Ein Leidensweg, entscheidend durch die Idee geformt, scheinbar ständig unter Beschuss zu sein und sich ewig zu rechtfertigen. Wer diesen angeblichen Leidensweg nicht durchgemacht hat, darf diesen Status scheinbar nicht für sich beanspruchen und wird als Teil der „Anderen“ erklärt.
Gleichzeitig ist derselbe Status so lange durch Marketing und Selbstbild als in erster Linie als weiß und männlich vorgestellt worden, dass er fast synonym damit wurde. Das bedeutet nicht, dass andere Menschen sich nicht inzwischen auch mit dem Begriff identifizieren oder sich als Teil einer größeren Gemeinschaft aus „Gamern“ sehen. Nur bot der Begriff so auch schon immer eine perfekte Projektionsfläche für bestimmte Konzepte toxischer Nerd-Maskulinität, die wiederum Hand in Hand mit Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Ableismus und mehr geht. Die haben nicht alle Gamer aufgegriffen, aber zu viele. Und wenn man diesen Leuten glaubt, dann haben andere Menschen umso weniger Platz in “ihrer” Welt des Gamerseins, je mehr sie vom Bild des gebeutelten, weißen Nerd-Manns abweichen. Deshalb kann z.B. einzelnen weißen cis Frauen sehr einfach ein wenig Raum zugestanden werden, die Grenzen dieses Raums sind allerdings immer eng abgesteckt, inklusive der stummen Bedingung, dass diese Frauen nicht mehr einfordern sollen oder dürfen als ihnen so zugestanden wurde. Der „Gamer“-Begriff war damit durch seine Verknüpfung mit toxischer Nerd-Maskulinität schon immer von einer bestimmten Seite mehr beansprucht als von einer anderen und das hat sich bis heute nicht großartig geändert.
„Echte“ und „falsche“ Spiele
Deshalb war z.B. „Die Sims“ auch immer so etwas wie der „Frauenroman“ digitaler Spiele. Ernstzunehmende, „echte“ Spiele, das war immer etwas anderes, aber nicht „Sims“. In echten Spielen schlägt man sich die Köpfe ein, während sich die Animation von Pferdehoden entsprechend der ingame Temperaturen ändert. Dass die Reihe so lange als „digitales Puppenhaus“ und „Mädchenspiel“ und damit als etwas verschrien war, das auf diffuse Weise weniger wert war, lag nie an einem der Spiele selbst, sondern an seiner großen weiblichen Fanbase, die weder dem Opfermythos noch dem typischen Bild eines „Gamers“ entsprach noch großartig versuchte, in diesen Raum zu drängen, in dem sie ohnehin nicht willkommen waren. Die Frage war nie, wie viel Zeit Leute, die einzig und allein Sims spielen, in dieses Hobby investieren, sondern, ob sie sie in das richtige Spiel investieren.
Dass natürlich schon allein das Konzept, dass es „richtige“ und damit im Umkehrschluss auch „falsche“ Spiele gibt, von außen betrachtet absurd. Es ist ein soziales Konstrukt und ergibt als solches auch nur im Kontext seiner sozialen Rahmenbedingungen Sinn. Wo in den Diskursen anderer Medien – so umstritten die dafür angelegten Maßstäbe auch sein mögen – mit solchen Konstrukten versucht wird, künstlerische und intellektuelle Qualität zu unterscheiden, geht es im Gaming immer um die Menschen und die Plattformen, auf denen sie spielen. Ein teurer AAA-Blockbuster gilt normalerweise automatisch als „echtes“ Spiel, ein Mobile Game dagegen, das in jeder Hinsicht nur mit einem geringeren Umfang und technischen Besonderheiten aufwarten kann, weniger.
Mobile ist riesig?
Doch warum? Der Markt für Mobile Games ist riesig, gerade in F2P-Titeln steckt viel Geld und die Entwicklungsstudios von Mobile Games waren es, die schon vor Jahren die wissenschaftliche Recherche angestoßen haben, die uns jetzt die ewige Gelddruckerei der Lootboxen beschert hat. Egal wie ethisch verwerflich das sein mag – wir haben hier einen Markt mit einer großen Anzahl Spieler*innen, sowie Geld und Innovation, nicht immer nur kommerziell, sondern immer wieder auch künstlerisch. In die „Gamer“-Identität gehören Spielende, die in erster Linie an ihrem Smartphone spielen, dennoch nicht. Hier könnte man natürlich argumentieren, dass solche Spiele weniger Zeit und Auseinandersetzung verlangen, was sich allerdings alles mit Beispielen von intensiven Langzeitspielenden mit links widerlegen lässt. Genauso wie es „Gamer“ gibt, die vielleicht ein narrativ aufwändiges Spiel an ihrer Konsole pro Jahr spielen, gibt es andere Spielende, die dieselbe Zeit in Handyspielen z.B. beim Pendeln im Zug versenken. Wo liegt also der Unterschied?
Hier schließt sich der Kreis, denn so wie „Sims“ als „Mädchenspiel“ galt und gilt, so haben auch Spiele wie „Candy Crush“, „June’s Journey“ oder sogar „Arcana“ gemeinsam, dass ihre Spielerschaft meistens als primär weiblich gelesen und die Spiele auch an eine als weiblich angenommene Zielgruppe vermarktet wird. Wir haben also eine Gruppe Spielender, von denen meistens angenommen wird, dass sie weitgehend weiblich sind, und die aufgrund des niedrigschwelligen Mainstream-Zugangs zusätzlich noch nicht Teil des Gamer-Leidensweg sind. Vielleicht werden sie sogar eher den Leuten zugeordnet, die diesen Leidensweg verursacht haben sollen und sogar kein Interesse daran haben, Teil dieses Opfermythos zu sein.
Gamersein war noch nie inklusiv
Die Identität als „Gamer“ war und ist exklusiv statt inklusiv. “Wir” gegen “die anderen”. Dass inzwischen immer mehr andere Menschen als weiße cis Männer sichtbar in diese Identität zu drängen versuchen, ist kein Verdienst von „Gamern“, die auf toxischer Nerd-Maskulinität im Baumhaus beharren, sondern eben dieser anderen Menschen, die sich geweigert haben, sich aus diesen Räumen vertreiben zu lassen und ihre Daseinsberechtigung bis aufs Blut verteidigt haben. Gamer haben in dem Moment, in dem z.B. Frauen eine dezidiert weibliche Stimme im Videospieldiskurs haben wollten, angefangen, diese Frauen zu belästigen und stumm zu schalten. Gamer sind es auch, die jetzt, sobald eine diverse Figur zu viel vorkommt, mit Reviewbombing antworten. Die Leute, die sich am stolzesten und militantesten Gamer schimpfen, sind die, die jedes Gespräch über Spiele und jede Idee von einer offenen Gemeinschaft von Leuten, die sich für Spiele interessieren, auf der Stelle vergiften. Das ist ein Kontext, den niemand ignorieren kann, weil er direkte Folgen hat. Der „Gamer“-Begriff ist so tief von rechts eingefärbt, dass er unwiederbringlich ruiniert wurde. Wenn die, die sich am stolzesten so nennen, die sind, die jedes Gespräch vergiften, dann bedeutet jedes Benutzen des Begriffs eine – vielleicht noch so ungewollte – Annäherung an eben diese Leute. Es normalisiert Begriffe und Strömungen, die nicht normalisiert werden sollten, weil sie aufgrund der Gewalt, die sie ausüben, ohnehin schon viel mehr Macht haben, als sie haben sollten. Nicht alle Menschen, die sich mit dem “Gamer”-Begriff identifizieren, sind missbräuchliche Trolle, aber sie benutzen alle eine Selbstbezeichnung, auf die eben diese Trolle ganz besonders stolz sind.
Reclaiming ist illusorisch
Hier zu versuchen, einen Begriff und eine Identität zu reclaimen, die so viele Level von Gatekeeping und verbaler Gewalt in sich birgt, ist ein Kampf gegen Windmühlen, der eine konstant positive Besetzung des Begriffs verlangen würde, die so aktuell nicht umsetzbar ist. Dafür sind grundlegende feministische Ideen oder auch nur Schutzmaßnahmen für Opfer von Belästigung und Diskriminierung sowohl in der Branche als auch unter Spielenden viel zu umstritten. Wenn Spielende und Branche nicht auf einer sehr breiten Basis durchgehend für Marginalisierte einstehen, ist auch das Reclaiming eines Begriffs und einer Identität unmöglich, die derzeit entschieden auf Ausschlussmechanismen fußt. Wenn wir noch ernsthaft regelmäßig darüber diskutieren, ob ein transfeindlicher Witz eines Twitter-Accounts eines Hypespiels nicht doch eigentlich ganz witzig war oder ob ein übersexualisiertes Design einer Frauenfigur denn jetzt wirklich Sexismus sei, können wir nicht wirklich darüber reden, ob wir dieselbe Gatekeeping-Identität nicht doch positiv besetzen wollen. Jeder Versuch, der auf halben Weg stoppt und dann Diskriminierung doch wieder relativiert, füttert am Ende nur eben die toxischen Strömungen, die er ja eigentlich beseitigen soll.
Die Lösung kann also nicht sein, sich auf einen Begriff und eine Identität zu beziehen, die von entschieden sexistischen, rassistischen und queerfeindlichen Strömungen getragen wird, und sich dann einzureden, dass man eben diese Strömungen damit nicht füttert. Wenn diese Strömungen schon so stolz auf diese Identität und Selbstbezeichnung sind, sollen sie sie haben. Allerdings sollten alle anderen sie dann auch sprachlich als die toxische und gewaltvolle Minderheit darstellen, die sie ohnehin längst sind.
Abgrenzung statt Annäherung
Denn die schreiende „echte Gamer“-Fraktion reaktionärer Nerds ist vielleicht ein Extrem, aber ihr Gatekeeping ist überall. Es ist da, wenn Visual Novels nicht richtig ernst genommen werden, weil sie eine romantische Geschichte erzählen, und es ist da, wenn ich im Sommer im Kleid ein Spiel im Einzelhandel kaufen will und das zweifelhafte Kompliment bekomme, was für eine tolle Freundin ich doch sein muss, dass ich meinem Freund so etwas kaufe. Es ist da, wenn ich mich dazu entschließe, nicht mehr oder nur wohlüberlegt gemeinsam mit Männern Spiele zu spielen, weil ich keine Lust darauf habe, mir einen schönen Abend durch angeblich lustige, aber im Grunde nur sexistische Witze ruinieren zu lassen. Und es ist genauso da wie in dem Moment, wenn ich mit Freundinnen Blocklisten für Gaming-Kreise auf Twitter austausche, um nach dem nächsten kritischeren Text trotzdem meine Ruhe vor missbräuchlichen Gamern zu haben.
Solange wir nicht auch diese Kleinigkeiten akzeptieren und als Teil eines größeren Problems betrachten, kann auch Gaming als Szene – so problematisch eine so weit gespannte Bezeichnung auch ist – kein inklusiver Raum sein. Und solange wir nicht auch gegen diese Kleinigkeiten vorgehen, wird sich auch nichts ändern. Der „Gamer“-Begriff ist nur eine Manifestation von vielen, aber gerade weil er benutzt wird, um eine aggressiv verteidigte Identität zu konstruieren, ist er kommunikativ gesehen ein besonders mächtiges Werkzeug. Sowohl in seiner Benutzung als auch in der bewussten Abgrenzung davon. Denn nur wenn wir reaktionäre Positionen benennen und ächten, können wir einen Raum schaffen, in dem sich alle anderen halbwegs sicher fühlen können. Und das war doch angeblich das Ziel.
Dieser Text erschien zuerst im März 2019 in einer früheren Version auf Screaming Pixel.
Liebe Aurelia, deine geschilderten Erfahrungen mit sexistischen Games und toxisch männlichen Gamern kann ich nur bestätigen. Mit ein Grund, dass ich Online-Multiplayer meide wie der Teufel das Weihwasser. Aber im privaten Freundeskreis habe ich das noch nicht erlebt. Solche Leute wären für mich auch keine “Freunde” mehr.
Ich habe aber auch die andere Seite erlebt: Hass und Ausgrenzung durch “liberale” Mitmenschen, nachdem ich mich geoutet hatte, dass ich gerne Computerspiele spiele. Wobei ich noch nicht einmal erwähnte, ob es sich um Tetris oder God of War handelt. Dass Games “unweiblich” und für Frauen tabu seien, wird ja nicht nur in Gamerkreisen propagiert.
Ich denke, Frauen sind auch bei den “harten” Spielen reichlich zu finden. In meinem Bekanntenkreis (Akademikerinnen zwischen 40 und 70) gibt es etliche, die gerne auch mal Shooter oder RPG spielen. Sie halten sich nur sehr bedeckt, geben sich männliche Nicknames, da sie sowohl die Anfeindungen aus der Ultra-Gamerszene als auch aus der Normgesellschaft fürchten.
Eine Ablehnung des Begriffs “Gamer” durch die nicht-toxischen Spieler/innen in all ihrer Vielfalt würde meiner Meinung nach das Identitätsgefühl der Toxischen nur bestätigen: “wir” sind die wahren Gamer, die “anderen” gehören nicht dazu.
Das gleiche lief/läuft ja im Sport ähnlich: Man(n) kann Fußballer sein, Frauen spielen keinen richtigen Fußball! In meiner Schulzeit war es mir als Mädchen noch verboten, Fußball im Sportunterricht als Mannschaftssportart zu wählen. Heute wird Frauenfußball auf breiter Ebene ernst genommen, zwar noch nicht absolut gleichrangig, aber immerhin. Und das liegt nicht daran, dass Frauen diesen Sport als “Kicken für Mädels” bezeichnet hätten.
Nein! Die ausgegrenzten Gruppen müssen weiterhin dafür kämpfen, den Begriff “Gamer” nicht allein den Toxischen zu überlassen. “Gamer/in” als solches ist ein neutraler Begriff, wie Laufsportler/in, Fußballer/in, Schriftsteller/in, Programmierer/in usw. Es gibt beispielsweise immer noch einen recht großen Anteil sexistischer Ingenieure, die Frauen für “ihrer Natur nach” für unfähig halten, diesen Beruf auszuüben und Frauen in ihren Reihen massiv anfeinden (selbst erlebt). Deswegen höre ich doch nicht auf, mich als Ingenieurin zu bezeichnen, denn dadurch würde ich mich als Frau noch weiter marginalisieren, mich selbst exkludieren. Nein und nochmals nein. Es gibt Ingenieurinnen, damit müsst ihr leben. Und es gibt Gamerinnen, damit müsst ihr auch leben, und wenn ihr noch so geifert. Und je mehr und je vielfältiger wir uns unter diesem Namen zeigen, um so stärker können wir die Begrifflichkeit verändern. Sich selbst auszugrenzen halte ich für vorauseilenden Gehorsam oder Resignation gegenüber den Ausgrenzenden und ihrer Apartheids-Denke.
Dass marginalisierte Gruppen in Games so gut wie nie vorkommen, liegt eher nicht allein an versteckten Ressentiments auf Entwicklerseite, sondern überwiegend an den kommerziellen Interessen der Spielebranche. Marginalisierte Gruppen sind halt durch geringe finanzielle Mittel und/oder eine geringe Personenzahl definiert. Beides deutet nicht auf besonders umsatzrelevante Käuferschichten hin. Der Gewinn wird allerdings indirekt mit den Ressentiments der mehrheitlichen Käufer/innen gemacht, wenn immer gefragt werden muss “Können wir das (z.B. eine schwarze oder weibliche Hauptfigur) gut verkaufen?” Für die Großen der Branche funktioniert da nur die Technik des steten Tropfens, die durch aktives Einfordern und das Kaufverhalten seitens der Käufer/innen unterstützt werden muss.
Gerade im Indie-Bereich gibt es Möglichkeiten, eigene Spiele mit eigenen Stories mit Hilfe von Crowd Funding zu entwickeln und international zu verbreiten. Ich könnte mir sehr gut ein Game mit herkömmlichen Elementen (Kämpfe gegen Monster und/oder Soldaten, Gut gegen Böse, Crafting und Survival, Magie und Hexerei, spielrelevante Entscheidungen usw.) in afrikanischem Setting in der Moderne und/oder in einer antiken Kultur, mit afrikanischen Charakteren von einem afrikanischen Entwicklerteam vorstellen.
Oder das ganze im alten Indien, einer Kultur voller Götter, Dämonen und seltsamen Waffen.
Oder ein Game mit südamerikanischen Indigenen im Überlebenskampf gegen die Zerstörung ihres Lebensraums als Protagonisten. Gerne auch in Original-Sprache mit Untertiteln.
Oder ein Pflegeheim-Simulator.
Mir fallen auf Anhieb zig Spielideen abseits vom WMASP-Mainstream ein.
Für Branchenriesen wäre das ein finanzielles Risiko, aber Indie-Teams können sich an alles wagen!
Wenn alle darauf warten, dass sich die gewinnorientierten Branchenriesen der reichen Industrienationen der Themen marginalisierter Gruppen annehmen, dann warten sie ewig.
Hi Sonja! Danke für deinen Kommentar, ich versuche mal zu verdeutlichen, warum mir die Dinge, die du anmerkst, bewusst sind, ich aber dennoch andere Schlüsse daraus ziehe. 🙂
Zunächst einmal ist es natürlich (bewusst) etwas provokant, den Begriff “Gamer” komplett abzulehnen, und ich sehe auch, dass andere sich von dem Begriff in ihrer Position in Gaming-Spaces gestärkt fühlen, was selbstverständlich an sich valide ist. Was ich schreibe, ist das: Ich persönlich (!) lehne den Begriff aus mehreren (!) Gründen ab, zum einen, weil daran eine toxische Identität geknüpft ist, und zum anderen, weil diese toxische Identität zu Ausgrenzung u.a. von Frauen instrumentalisiert wird. Beim zweiten Grund können wir darüber reden, wie sinnvoll es ist, der rechten Gamer-Crowd das Feld zu überlassen, klar, aber hier bin ich der Ansicht, dass ein Reclaiming des Begriffs schlicht und ergreifend illusorisch und unmöglich ist.
Rechte Strömungen haben u.a. mit GamerGate hart dafür gearbeitet, dass der Begriff die ausschließende Einfärbung bekommen hat, die er heute hat. Diese Ausschlussdimension ist natürlich auch eine direkte Folge aus historischen Strukturen, die z.B. auch in dem Moment Programmiererinnen gezielt aus Tech-Berufen gedrängt hat, als klar wurde, dass Coding ein prestigereiches Berufsfeld eröffnen wurde, oder eben auch eine Folge aus der exzessiven Vermarktung von Spielen als Domäne für junge (weiße) Männer, aber die rechte Teildimension des Begriffs ist eben schlicht auch aktiv geprägt worden. z.B. zentrale Akteure der Neuen Rechten im Netz haben nicht grundlos immer und immer wieder auf eine Gamer-Identität Bezug genommen und tun es noch immer. (Simples Beispiel, wie auch hierzulande die AfD mal versucht hat, Bezug auf GamerGate zu nehmen, eben aus genau solchen Gründen: https://videogametourism.at/content/go-right-gamergate-und-afd)
Jetzt könnte man natürlich trotzdem versuchen, den Begriff zu reclaimen, um so nicht nur durch die eigene Präsenz (oder Solidarität mit Leuten, deren Existenzberechtigung in Gaming-Spaces regelmäßig angezweifelt wird), sondern auch sprachlich dem etwas entgegenzusetzen. Der Punkt ist hier: Um dann aber eine Einfärbung nicht zu reproduzieren, sondern umzudeuten und in einen neuen Kontext zu rücken, braucht es eine kritische Masse an Leuten, die ganz aktiv diese neue Deutung verteidigen und immer wieder in den Vordergrund rücken. Und diese Masse an Leuten sehe ich tatsächlich in den meisten Gaming-(Sub-)Kulturen als nicht gegeben. Da wird immer noch viel eher darüber diskutiert, ob Streamerinnen die sexualisierte Gewalt/Belästigung, die sie erfahren, nicht doch ein bisschen verdient haben, schließlich werden sie ja angeblich nur wegen ihrer Attraktivität geguckt, oder ob PewDiePie denn jetzt ~wirklich~ rechtes Gedankengut propagiert, nur weil er rassistische Slurs verwendet und antisemitische Pranks macht.
Um eine Umdeutung eines Begriffs vollziehen zu können, muss man sich von der toxischen Deutung explizit abgrenzen können, und das geht bei “Gamer” und der damit verbundenen Identität (meiner Ansicht nach) in so einem Klima schlicht nicht. Da ist es besser und effektiver, direkt aktiv inklusive Communities zu kreieren, in denen Leute, die zum Angriffsziel rechter Gamer werden, geschützt sind und sehr simpel und deutlich klar zu machen, dass diese Gestalten in solchen Communities nichts verloren haben. Auf diese Weise entzieht man Rechten übrigens auch ihr Versteck: Wenn “Gamer” nicht mehr nur als von rechts eingefärbter Begriff und Identität verstanden wird, die aber auch noch ab und zu Leute benutzen, die vollkommen okay sind, dann kann Diskriminierung durch Gamer schlechter als “Sorge” von “ganz normalen Spieler*innen” getarnt werden.
Und genau dieser Punkt ist dann auch direkt die Verbindung zu deinem Punkt mit dem Vorurteil, dass sich z.B. Spiele mit Frauen oder BIPoCs nicht verkaufen würden. Denn dieses Vorurteil hat einen wahren Kern: Sie verkaufen sich nicht in dem aggressiv verteidigten Baumhaus der ewig beleidigten Gatekeeper-Gamer, die z.B. Frauen in “ihren” Spielen und “ihren” Communities keinen Platz zugestehen wollen oder wenn dann ihnen nur so viel Raum zugestehen wollen, wie sie das erlauben. Diesen Leuten geht es um Misogynie, Kontrolle und Macht, genau deshalb ist deren Antwort z.B. auf weibliche Protagonistinnen ein breites Spektrum aus wütenden Kommentaren à la “Keep your politics out of my games” über Reviewbombing bis hin zu Belästigung, Bedrohung und Stalking von Entwickler*innen und/oder Journalist*innen.
In dem Moment, in dem diesen Leuten aber sprachlich und faktisch kein Raum in den jeweiligen Communities (und der Branche im Allgemeinen, das betrifft ja nicht nur die Spieler*innen-Seite, sondern auch sowohl Presse als auch Spieleentwicklung) zugestanden wird, werden sie plötzlich irrelevant. Das kann auch nur ein Instrument sein, denn Machtstrukturen, gerade auf Branchenebene, sind zäh. (z.B. Im Kontext der Missbrauchsfälle bei Ubisoft kam z.B. auch raus, dass selbst noch bei Assassin’s Creed: Odyssey die Entwickler*innen scheinbar nur Kassandra als Protagonistin wollten, die Chefetage aber auf einen männlichen Protagonisten bestanden hat, weshalb es dann zu der Doppelung mit Alexios und Kassandra kam, obwohl (!) Kassandra am Schluss dann eine sehr beliebte Protagonistin geworden ist und man dieses “verkauft sich nicht”-Argument längst fundiert anzweifeln kann. Das ist auch im Verhältnis zum Release des Spiels ein recht frisches Beispiel, verdeutlicht aber die Kämpfe, die da hinter den Kulissen laufen, auch weil in der Branche und unter Spieler*innen der rechten Gamer-Crowd noch immer zu viel Macht gegeben wird.) Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass besonders AAA-Spiele da langfristig (verstärkt) mitziehen, denn das sind die Spiele, die am besten sichtbar sind und die deshalb den meisten Einfluss haben. Und: Es ist auch wichtig, dass Branchenriesen nicht nur die Geschichten Marginalisierter erzählen und/oder sich davon inspirieren lassen, sondern auch Marginalisierte die Entwickler*innen dahinter sein lassen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben hier ein strukturelles Problem, das weit über das bloße Wort “Gamer” hinausgeht, natürlich, aber die Gamer-Identität ist ein tief verwurzelter Teil davon und meiner Ansicht nach ein guter Anfangspunkt, gerade auf Spieler*innen-Seite. Denn den Begriff reclaimen zu wollen, halte ich für illusorisch und schlicht nicht realistisch umsetzbar.