Opfermythos und Sexismus: “Gamer” und das Gatekeeping einer Hobbyidentität

Aurelia Brandenburg

Aurelia Brandenburg ist Historikerin mit Schwerpunkt auf Mittelalter und Digital Humanities. Sie bloggt außerdem manchmal auf ihrem Blog geekgefluester.de über Popkultur und ist als @hekabeohnename auf Twitter zu finden.

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4 Antworten

  1. Sonja sagt:

    Liebe Aurelia, deine geschilderten Erfahrungen mit sexistischen Games und toxisch männlichen Gamern kann ich nur bestätigen. Mit ein Grund, dass ich Online-Multiplayer meide wie der Teufel das Weihwasser. Aber im privaten Freundeskreis habe ich das noch nicht erlebt. Solche Leute wären für mich auch keine “Freunde” mehr.

    Ich habe aber auch die andere Seite erlebt: Hass und Ausgrenzung durch “liberale” Mitmenschen, nachdem ich mich geoutet hatte, dass ich gerne Computerspiele spiele. Wobei ich noch nicht einmal erwähnte, ob es sich um Tetris oder God of War handelt. Dass Games “unweiblich” und für Frauen tabu seien, wird ja nicht nur in Gamerkreisen propagiert.
    Ich denke, Frauen sind auch bei den “harten” Spielen reichlich zu finden. In meinem Bekanntenkreis (Akademikerinnen zwischen 40 und 70) gibt es etliche, die gerne auch mal Shooter oder RPG spielen. Sie halten sich nur sehr bedeckt, geben sich männliche Nicknames, da sie sowohl die Anfeindungen aus der Ultra-Gamerszene als auch aus der Normgesellschaft fürchten.

    Eine Ablehnung des Begriffs “Gamer” durch die nicht-toxischen Spieler/innen in all ihrer Vielfalt würde meiner Meinung nach das Identitätsgefühl der Toxischen nur bestätigen: “wir” sind die wahren Gamer, die “anderen” gehören nicht dazu.
    Das gleiche lief/läuft ja im Sport ähnlich: Man(n) kann Fußballer sein, Frauen spielen keinen richtigen Fußball! In meiner Schulzeit war es mir als Mädchen noch verboten, Fußball im Sportunterricht als Mannschaftssportart zu wählen. Heute wird Frauenfußball auf breiter Ebene ernst genommen, zwar noch nicht absolut gleichrangig, aber immerhin. Und das liegt nicht daran, dass Frauen diesen Sport als “Kicken für Mädels” bezeichnet hätten.

    Nein! Die ausgegrenzten Gruppen müssen weiterhin dafür kämpfen, den Begriff “Gamer” nicht allein den Toxischen zu überlassen. “Gamer/in” als solches ist ein neutraler Begriff, wie Laufsportler/in, Fußballer/in, Schriftsteller/in, Programmierer/in usw. Es gibt beispielsweise immer noch einen recht großen Anteil sexistischer Ingenieure, die Frauen für “ihrer Natur nach” für unfähig halten, diesen Beruf auszuüben und Frauen in ihren Reihen massiv anfeinden (selbst erlebt). Deswegen höre ich doch nicht auf, mich als Ingenieurin zu bezeichnen, denn dadurch würde ich mich als Frau noch weiter marginalisieren, mich selbst exkludieren. Nein und nochmals nein. Es gibt Ingenieurinnen, damit müsst ihr leben. Und es gibt Gamerinnen, damit müsst ihr auch leben, und wenn ihr noch so geifert. Und je mehr und je vielfältiger wir uns unter diesem Namen zeigen, um so stärker können wir die Begrifflichkeit verändern. Sich selbst auszugrenzen halte ich für vorauseilenden Gehorsam oder Resignation gegenüber den Ausgrenzenden und ihrer Apartheids-Denke.

    Dass marginalisierte Gruppen in Games so gut wie nie vorkommen, liegt eher nicht allein an versteckten Ressentiments auf Entwicklerseite, sondern überwiegend an den kommerziellen Interessen der Spielebranche. Marginalisierte Gruppen sind halt durch geringe finanzielle Mittel und/oder eine geringe Personenzahl definiert. Beides deutet nicht auf besonders umsatzrelevante Käuferschichten hin. Der Gewinn wird allerdings indirekt mit den Ressentiments der mehrheitlichen Käufer/innen gemacht, wenn immer gefragt werden muss “Können wir das (z.B. eine schwarze oder weibliche Hauptfigur) gut verkaufen?” Für die Großen der Branche funktioniert da nur die Technik des steten Tropfens, die durch aktives Einfordern und das Kaufverhalten seitens der Käufer/innen unterstützt werden muss.

    Gerade im Indie-Bereich gibt es Möglichkeiten, eigene Spiele mit eigenen Stories mit Hilfe von Crowd Funding zu entwickeln und international zu verbreiten. Ich könnte mir sehr gut ein Game mit herkömmlichen Elementen (Kämpfe gegen Monster und/oder Soldaten, Gut gegen Böse, Crafting und Survival, Magie und Hexerei, spielrelevante Entscheidungen usw.) in afrikanischem Setting in der Moderne und/oder in einer antiken Kultur, mit afrikanischen Charakteren von einem afrikanischen Entwicklerteam vorstellen.
    Oder das ganze im alten Indien, einer Kultur voller Götter, Dämonen und seltsamen Waffen.
    Oder ein Game mit südamerikanischen Indigenen im Überlebenskampf gegen die Zerstörung ihres Lebensraums als Protagonisten. Gerne auch in Original-Sprache mit Untertiteln.
    Oder ein Pflegeheim-Simulator.
    Mir fallen auf Anhieb zig Spielideen abseits vom WMASP-Mainstream ein.

    Für Branchenriesen wäre das ein finanzielles Risiko, aber Indie-Teams können sich an alles wagen!
    Wenn alle darauf warten, dass sich die gewinnorientierten Branchenriesen der reichen Industrienationen der Themen marginalisierter Gruppen annehmen, dann warten sie ewig.

    • Hi Sonja! Danke für deinen Kommentar, ich versuche mal zu verdeutlichen, warum mir die Dinge, die du anmerkst, bewusst sind, ich aber dennoch andere Schlüsse daraus ziehe. 🙂
      Zunächst einmal ist es natürlich (bewusst) etwas provokant, den Begriff “Gamer” komplett abzulehnen, und ich sehe auch, dass andere sich von dem Begriff in ihrer Position in Gaming-Spaces gestärkt fühlen, was selbstverständlich an sich valide ist. Was ich schreibe, ist das: Ich persönlich (!) lehne den Begriff aus mehreren (!) Gründen ab, zum einen, weil daran eine toxische Identität geknüpft ist, und zum anderen, weil diese toxische Identität zu Ausgrenzung u.a. von Frauen instrumentalisiert wird. Beim zweiten Grund können wir darüber reden, wie sinnvoll es ist, der rechten Gamer-Crowd das Feld zu überlassen, klar, aber hier bin ich der Ansicht, dass ein Reclaiming des Begriffs schlicht und ergreifend illusorisch und unmöglich ist.

      Rechte Strömungen haben u.a. mit GamerGate hart dafür gearbeitet, dass der Begriff die ausschließende Einfärbung bekommen hat, die er heute hat. Diese Ausschlussdimension ist natürlich auch eine direkte Folge aus historischen Strukturen, die z.B. auch in dem Moment Programmiererinnen gezielt aus Tech-Berufen gedrängt hat, als klar wurde, dass Coding ein prestigereiches Berufsfeld eröffnen wurde, oder eben auch eine Folge aus der exzessiven Vermarktung von Spielen als Domäne für junge (weiße) Männer, aber die rechte Teildimension des Begriffs ist eben schlicht auch aktiv geprägt worden. z.B. zentrale Akteure der Neuen Rechten im Netz haben nicht grundlos immer und immer wieder auf eine Gamer-Identität Bezug genommen und tun es noch immer. (Simples Beispiel, wie auch hierzulande die AfD mal versucht hat, Bezug auf GamerGate zu nehmen, eben aus genau solchen Gründen: https://videogametourism.at/content/go-right-gamergate-und-afd)

      Jetzt könnte man natürlich trotzdem versuchen, den Begriff zu reclaimen, um so nicht nur durch die eigene Präsenz (oder Solidarität mit Leuten, deren Existenzberechtigung in Gaming-Spaces regelmäßig angezweifelt wird), sondern auch sprachlich dem etwas entgegenzusetzen. Der Punkt ist hier: Um dann aber eine Einfärbung nicht zu reproduzieren, sondern umzudeuten und in einen neuen Kontext zu rücken, braucht es eine kritische Masse an Leuten, die ganz aktiv diese neue Deutung verteidigen und immer wieder in den Vordergrund rücken. Und diese Masse an Leuten sehe ich tatsächlich in den meisten Gaming-(Sub-)Kulturen als nicht gegeben. Da wird immer noch viel eher darüber diskutiert, ob Streamerinnen die sexualisierte Gewalt/Belästigung, die sie erfahren, nicht doch ein bisschen verdient haben, schließlich werden sie ja angeblich nur wegen ihrer Attraktivität geguckt, oder ob PewDiePie denn jetzt ~wirklich~ rechtes Gedankengut propagiert, nur weil er rassistische Slurs verwendet und antisemitische Pranks macht.

      Um eine Umdeutung eines Begriffs vollziehen zu können, muss man sich von der toxischen Deutung explizit abgrenzen können, und das geht bei “Gamer” und der damit verbundenen Identität (meiner Ansicht nach) in so einem Klima schlicht nicht. Da ist es besser und effektiver, direkt aktiv inklusive Communities zu kreieren, in denen Leute, die zum Angriffsziel rechter Gamer werden, geschützt sind und sehr simpel und deutlich klar zu machen, dass diese Gestalten in solchen Communities nichts verloren haben. Auf diese Weise entzieht man Rechten übrigens auch ihr Versteck: Wenn “Gamer” nicht mehr nur als von rechts eingefärbter Begriff und Identität verstanden wird, die aber auch noch ab und zu Leute benutzen, die vollkommen okay sind, dann kann Diskriminierung durch Gamer schlechter als “Sorge” von “ganz normalen Spieler*innen” getarnt werden.

      Und genau dieser Punkt ist dann auch direkt die Verbindung zu deinem Punkt mit dem Vorurteil, dass sich z.B. Spiele mit Frauen oder BIPoCs nicht verkaufen würden. Denn dieses Vorurteil hat einen wahren Kern: Sie verkaufen sich nicht in dem aggressiv verteidigten Baumhaus der ewig beleidigten Gatekeeper-Gamer, die z.B. Frauen in “ihren” Spielen und “ihren” Communities keinen Platz zugestehen wollen oder wenn dann ihnen nur so viel Raum zugestehen wollen, wie sie das erlauben. Diesen Leuten geht es um Misogynie, Kontrolle und Macht, genau deshalb ist deren Antwort z.B. auf weibliche Protagonistinnen ein breites Spektrum aus wütenden Kommentaren à la “Keep your politics out of my games” über Reviewbombing bis hin zu Belästigung, Bedrohung und Stalking von Entwickler*innen und/oder Journalist*innen.

      In dem Moment, in dem diesen Leuten aber sprachlich und faktisch kein Raum in den jeweiligen Communities (und der Branche im Allgemeinen, das betrifft ja nicht nur die Spieler*innen-Seite, sondern auch sowohl Presse als auch Spieleentwicklung) zugestanden wird, werden sie plötzlich irrelevant. Das kann auch nur ein Instrument sein, denn Machtstrukturen, gerade auf Branchenebene, sind zäh. (z.B. Im Kontext der Missbrauchsfälle bei Ubisoft kam z.B. auch raus, dass selbst noch bei Assassin’s Creed: Odyssey die Entwickler*innen scheinbar nur Kassandra als Protagonistin wollten, die Chefetage aber auf einen männlichen Protagonisten bestanden hat, weshalb es dann zu der Doppelung mit Alexios und Kassandra kam, obwohl (!) Kassandra am Schluss dann eine sehr beliebte Protagonistin geworden ist und man dieses “verkauft sich nicht”-Argument längst fundiert anzweifeln kann. Das ist auch im Verhältnis zum Release des Spiels ein recht frisches Beispiel, verdeutlicht aber die Kämpfe, die da hinter den Kulissen laufen, auch weil in der Branche und unter Spieler*innen der rechten Gamer-Crowd noch immer zu viel Macht gegeben wird.) Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass besonders AAA-Spiele da langfristig (verstärkt) mitziehen, denn das sind die Spiele, die am besten sichtbar sind und die deshalb den meisten Einfluss haben. Und: Es ist auch wichtig, dass Branchenriesen nicht nur die Geschichten Marginalisierter erzählen und/oder sich davon inspirieren lassen, sondern auch Marginalisierte die Entwickler*innen dahinter sein lassen.

      Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben hier ein strukturelles Problem, das weit über das bloße Wort “Gamer” hinausgeht, natürlich, aber die Gamer-Identität ist ein tief verwurzelter Teil davon und meiner Ansicht nach ein guter Anfangspunkt, gerade auf Spieler*innen-Seite. Denn den Begriff reclaimen zu wollen, halte ich für illusorisch und schlicht nicht realistisch umsetzbar.

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