Ein Leben für Yu-Gi-Oh! – Ein Blick hinter die Kulissen der deutschen Yu-Gi-Oh!-Meisterschaft 2025
Ein Blick hinter die Kulissen der diesjährigen deutschen Yu-Gi-Oh!-Meisterschaft in der Halle Münsterland zeigt, dass es hier um viel mehr geht als nur ein Kartenspiel. Ein Beitrag zum Sammelband Exploring Card Games von Melanie Döring.

Alleine waren auf der WCQ die wenigsten. Foto: Melanie Döring
Samstagmorgen, 7:30 Uhr. Viel zu früh für einen Wochenendtag.
Noch ist es angenehm draußen – aber heute soll der bisher heißeste Tag des Jahres werden. 32 Grad. Münster schläft noch und die Straßen sind fast leer. Nur ein paar letzte Hartgesottene schlurfen nach einer langen Partynacht in Richtung Bahnhof.
Doch vor dem Südeingang der Halle Münsterland ist trotz der Uhrzeit schon einiges los. Junge Männer finden sich nach und nach auf dem großzügigen Vorplatz ein und stehen in kleinen Gruppen beisammen. Einige sind allein hier, die meisten aber in Begleitung von Freunden. Frauen sind hingegen kaum zu sehen.
„Ich wünsche mir Freunde.“ (Yugi Muto)
Gedämpfte Gespräche liegen in der Luft, doch als Außenstehender hört man zwar die Worte, kann sich den Sinn dahinter aber kaum erschließen. Denn alles dreht sich nur um ein Thema: Yu-Gi-Oh!
Am 14. und 15. Juni 2025 findet in Münster die deutsche Meisterschaft 2025 des Sammelkartenspiels statt: The World Championship Qualifier (WCQ) – National.

Die Teilnehmer der parallel stattfindenden Public Events haben zwar keine Chance auf den Titel, aber auf diverse Sachpreise. Foto: Melanie Döring.
An zwei Tagen spielen 2257 Teilnehmer über insgesamt 12 Runden nicht nur um den Titel „Deutscher Meister“ in KONAMIs Yu-Gi-Oh! TCG, sondern auch um die Qualifikation für die Europameisterschaft und damit die Chance auf den Einzug in die diesjährige (namensgebende) Yu-Gi-Oh! World Championship in Paris.
Während die Menschen vor der Halle langsam beginnen, sich in eine auffällig ordentliche Schlange vor den Eingangstüren einzureihen, werden im Foyer der Halle die letzten Vorbereitungen abgeschlossen.
Die Schlange der Teilnehmer reicht schon bis zur Straße, als die Türen geöffnet werden. Innerhalb von gut 20 Minuten ist ein Großteil der Wartenden durch die Taschenkontrolle. Ab jetzt steigt der Geräuschpegel, ebenso wie die Luftqualität sinkt. Glücklicherweise ist die Halle, in der das eigentliche Turnier stattfindet, deutlich besser klimatisiert als das verglaste Foyer.
Die Damentoiletten, die man durch den gleichen Gang wie die Haupthalle erreicht, wurden kurzerhand zu einer zweiten Herrentoilette umfirmiert. Denn 98% der Spieler, die aus ganz Deutschland angereist sind, sind männlich und haben während des Turniers nur wenig Zeit für „biologische“ Pausen – und doppelt hält bekanntlich besser. Die wenigen Frauen vor Ort müssen das Foyer durchqueren, wenn die Natur ruft. Der Weg ist zwar etwas weiter, aber die Klimaanlage dort ist ein Traum.
Der Aufbau der Halle ist ähnlich pragmatisch, wie der Umgang mit den Toiletten: Die Turniertische sind reihenförmig in der Mitte angeordnet. Drumherum befinden sich hauptsächlich Aufbauten für die Turnierorganisation und die Live-Übertragung ins Internet. Ausuferndes Merchandising sucht man hier vergebens. Die Ausstattung ist funktional, beinahe minimalistisch. Das Turnier und seine Spieler stehen eindeutig im Mittelpunkt dieser Veranstaltung.

Trotz der Temperaturen ist die Halle voll. Foto: Melanie Döring
Das Phänomen „Yu-Gi-Oh!“ kam Ende der 1990er-Jahre auf, und viele der Anwesenden haben bereits als Kind angefangen, zu spielen. So auch Peter Warnecke aus Berlin, der inzwischen als Schiedsrichter tätig ist und auch für diese Meisterschaft berufen wurde. Peter wirkt ruhig und zurückhaltend, aber seine Hände sind fast unentwegt in Bewegung. Er scheint so gar nicht dem typischen Klischee eines „Schiris“ zu entsprechen – aber dennoch war sein Weg dorthin ganz natürlich. Da er schon immer wissbegierig war, kannte er schnell das, wahrhaftig nicht triviale, Regelwerk des Sammelkartenspiels deutlich besser als seine Mitspieler. Während er von seinem Werdegang erzählt, leuchten Peters Augen vor Begeisterung und auf einmal wirkt er gar nicht mehr so schüchtern wie zuvor. Er berichtet mit einer gesunden Selbstsicherheit, dass er den RC2-Test, den er für höherrangige Schiedsrichter-Tätigkeiten bräuchte, bereits zweimal „zum Spaß“ absolviert und beide Male mit 100% bestanden habe. Warum bleibt er dennoch ein „einfacher“ Schiedsrichter, der den ganzen Tag aufmerksam zwischen den Tischen umherlaufen muss? Die Antwort fällt ihm leicht: Er liebt das Spiel, dessen komplexe Regeln und die Interaktion mit den Spielern. Er will mitten im Geschehen bleiben.

Die sogenannten Floor-Judges tragen schwarz-weiße Trikots, die übergeordneten Head-Judges schwarz-rot. Foto: Melanie Döring.
Die Paarungen für die erste Runde stehen inzwischen fest und die Spieler begeben sich an ihre Plätze. Währenddessen trifft sich jedes der insgesamt sechs Schiedsrichter-Teams, jeweils bestehend aus einem Teamleiter und vier Schiedsrichtern, um die genaue Aufteilung innerhalb ihres Blocks und die letzten Besonderheiten zu besprechen. Sobald die 45-minütige Runde, in der bis zu drei Partien gespielt werden, angefangen hat, wird es in der Halle, trotz der vielen Menschen, merklich leiser.

Über einen großen Timer, der an die Wand projiziert wird, haben alle Anwesenden stets im Blick, wie lange die aktuelle Runde noch läuft. Foto: Melanie Döring.
Für den Bochumer Leonard König geht es nun jedoch erst richtig los: Zusammen mit einem Kollegen kommentiert der eher extrovertierte Leonard das sogenannte „Feature Match“, das exponiert auf einer Bühne ausgetragen wird, für KONAMIs Live-Stream. Leonard spielt Yu-Gi-Oh! seit er sechs Jahre alt ist und hat mit 18 bereits internationale Turniere bestritten. 2018 hat er sowohl die niederländischen Nationals gewonnen als auch erstmals die deutsche Meisterschaft kommentiert. Ähnlich, wie Peter, hat auch Leonard seine persönliche Natur mit seinem Hobby verbunden: Seine Affinität zu Schauspielerei und Theater ist eine gute Voraussetzung für seine Arbeit als Caster, bei der er live vor mehreren Tausend Menschen – sowohl vor Ort als auch im Internet – spricht. Auf die Frage, wie sein Umfeld auf diese Tätigkeit reagiert habe, senkt Leonard mit einem kleinen Lächeln den Blick. Das Feedback sei positiv gewesen, aber es hätte auch niemanden überrascht, dass es ihn auf eine Bühne ziehe. Nervös ist Leonard beim Kommentieren nicht. Er habe ja die „Sicherheit hinterm Schreibtisch“ – die er aber für einen Posten als Moderator der Show durchaus gerne mal verließe.
KONAMI möchte jedoch vermehrt Spielerinnen für ihr Trading Card Game begeistern und setzt daher inzwischen häufiger auf weibliche Hosts für ihre Streams. Zudem kooperiert die Firma mit Influencerinnen und versucht auch auf Messen, gezielt auf Mädchen und Frauen zuzugehen. Ergebnisse dieser Bemühungen sind (zumindest bei dieser WCQ) allerdings noch nicht zu sehen.
Im Backstage-Bereich befindet sich, neben der Live-Regie für den Stream, der Pausenraum, in den sich die Mitwirkenden zwischen ihren Einsätzen zurückziehen und mit kalten Getränken versorgen können. Als die aktuelle Runde zu Ende ist, wird es hinter der Bühne dementsprechend voll: Die Schiedsrichter und Kommentatoren nutzen jede Pause, um ihre geschundenen Füße bzw. Stimmbänder zumindest etwas auszuruhen. „Nach dem ersten Tag sind Deine Füße Brei“, weiß Peter Warnecke nur zu gut.
Am zweiten Turniertag sieht man dann sowohl den Teilnehmern als auch den Mitwirkenden an, wie anstrengend so ein Event ist. Dennoch sind alle weiterhin mit vollem Einsatz und Herzblut dabei – Turniere haben eben dieses gewisse „Klassenfahrtfeeling“, wie nicht nur Leonard König findet. Und tatsächlich kann man während des gesamten Events immer wieder herzliche Begegnungen, angeregte Gespräche und Freundschaftsspiele zwischen den Teilnehmern beobachten. So harsch manche Diskussionen und Kommentare der Yu-Gi-Oh!-Community im Netz auch sein mögen, live in der Halle ist davon nichts zu spüren.
Spätestens während der Finalrunde können dann auch Außenstehende zumindest ein wenig von diesem besonderen Gemeinschaftsgefühl spüren. Während Finalist Özcan Özyildiz sich, angefeuert von seinen Freunden, den Titel holt, kann man nicht anders, als mitzufiebern und sich zusammen mit dem strahlenden Sieger zu freuen – selbst wenn man, trotz des frenetischen Spielkommentars und zwei Tagen in dieser Welt, nicht mal ansatzweise versteht, was da gerade auf dem Spieltisch passiert ist.

Noch ein Interview und ein Abschlussfoto mit den Castern bevor Özcan mit seinen Freunden feiern kann. Foto: Melanie Döring
Über die Autorin:
Melanie Döring ist studierte Germanistin und studiert derzeit nebenberuflich Journalismus. Seit dem Studium arbeitet sie als Technische Redakteurin sowie Lektorin und bereitet aktuell ihre (nebenberufliche) Freiberuflichkeit als Lektorin und Journalistin vor. Sie ist zudem ein Nerd aus tiefstem Herzen sowie Hobby-Fotografin und Bogenschützin.
Ludographie:
Yu-Gi-Oh! Trading Card Game. 1999. KONAMI Digital Entertainment


Eine Antwort
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