Papier und Pixel: Exploring Card Games – eine Einführung
Titelbild zur Beitragsreihe „Papier und Pixel: Exploring Card Games“. © Erstellt mit Canva/Alexander Bärtl/LaP
Kartenspiele sind, wie es der Name bereits verrät, Spiele, in denen mit Karten gespielt wird. Doch nicht jedes Spiel, das Karten enthält, ist automatisch ein Kartenspiel. Karten können auch eher als sekundäres oder gar tertiäres Element eines Spieles fungieren. Schaut man sich etwa Klassiker wie Skat oder Doppelkopf, Sammelkartenspiele (TCG/CCG) wie Magic: The Gathering oder Pokémon TCG, das noch neue Endeavor: die Tiefsee oder digitale Buchadaptionen wie The Witcher 3: Wild Hunt an, nehmen Karten als Spielelement beziehungsweise -material jeweils ganz unterschiedliche Stellenwerte ein. Während in den genannten Klassikern und TCGs Karten der elementare oder gar der einzige Bestandteil der Spiele sind, fungieren sie z. B. in Endeavor: die Tiefsee als zusätzliches Element zu dem ansonsten brettspielfokussierten Inhalt. Im digitalen Spiel The Witcher 3 sind Karten als das Sammel- und Minispiel Gwent integriert, woraus sich eine eigene Applikation entwickelt hat, die zudem noch in diesem Jahr eine analoge Umsetzung erhielt.
In Spielen wie Dune: Imperium, Aeon’s End oder Slay the Spire haben wir es wiederum mit sogenannten Deckbuilding-Games zu tun, in denen das eigene Kartendeck über einen in sich geschlossenen Spielverlauf hinweg modifiziert und ergänzt wird, um mit dem sukzessive besser werdenden Deck Vorteile und Strategien zu generieren. Die genannten Spiele beinhalten, anders als etwa Skat oder Fantastische Reiche, weiteres Spielmaterial wie ein Spielbrett, Spielsteine und Spieler*innen-Tableaus, Drehscheiben usw., ohne dass diese Spiele dabei ihren Status als Card Games verlieren, da Karten weiterhin die Kernmechanik ausmachen. Eine ähnliche Deckbuilding-Mechanik findet sich in Living-Card-Games (LCGs) wie Arkham Horror: Das Kartenspiel wieder. Dort wird das Deck jedoch über Spielsessions hinweg, oft in Form einer Kampagne, ‚gecrafted‘. Das eigene Deck wird dabei jeweils nach Szenarien oder Missionen modifiziert, um so den Herausforderungen des nächsten Szenarios mit einem aufgewerteten Deck zu begegnen. Dabei kann, wie in Arkham Horror: Das Kartenspiel, der Erwerb oder die Aufwertung von Karten vom bisherigen Spielverlauf abhängig sein. Wurden mehr Sieg- bzw. Erfahrungspunkte gesammelt, so stehen anschließend mehr Möglichkeiten zur Verfügung, am eigenen Deck zu basteln. Spielverlauf und Deckbuilding stehen also in unmittelbarer Korrelation zueinander, was Spielentscheidungen und so das Spielgeschehen beeinflussen kann.
Card Games können also sowohl im digitalen als auch im analogen Raum höchst unterschiedliche Formen annehmen, wobei sie als Kernelement vereint, dass die zentrale Spielmechanik kartengetrieben ist. David Parlett weist auf Britannica.com Kartenspielen zudem als Eigenschaft zu, „that cards are individually identifiable from one side only, so that each player knows only the cards he holds and not those held by anyone else”. Dieser Punkt ist nur überwiegend korrekt, gibt es doch Spiele wie Hanabi, in denen Spieler*innen nur die Karten der anderen, nicht aber die eigenen sehen; oder offene Spielanteile wie in Skat, wo der*die Alleinspieler*in mit einem ‚ouvert‘ die eigenen Karten offen auslegt. Für das Gros der Kartenspiele sowie des ludischen Geschehens gilt diese Feststellung jedoch.
Strategie und Glück
Häufig geht mit Kartenspielen auch ein mal mehr, mal weniger relevanter Glücksfaktor einher, was sich bereits durch das Mischen des Decks bzw. der auszuteilenden Karten zeigt. Je nach Spiel kann diesem Glücksfaktor mit guter Planung entgegengewirkt werden, wobei der Glücksfaktor nie gänzlich verschwindet. Ein anderer Ansatz wurde mit der Aeon’s End-Reihe verfolgt. In diesem kooperativen Deckbuilder ist die Reihenfolge der erworbenen und der ausgespielten Karten entscheidend, da der Ablagestapel nicht gemischt wird, wenn der Nachziehstapel aufgebraucht ist, sondern einfach von der offenen auf die verdeckte Seite gedreht wird. Je besser die Spieler*innen Synergien von aufeinanderfolgenden Karten herstellen und sich die Reihenfolge der Karten im Ablagestapel merken können, desto besser für die Planung und den Spielverlauf. Weitere Glückselemente in Card Games können das Ziehen von Gegner- oder Eventkarten oder Tokens, die Spieler*innen-Reihenfolge (z. B. Aeon’s End), Würfel-Aktionen oder andere, zum Teil spielspezifische Elemente sein.
Ressourcen und Ludologistik
Analoge Kartenspiele sind im Gegensatz zu den meisten Brettspielen außerdem häufig platz- und ressourcensparend, womit sie sich besonders gut für die Mitnahme auf Reisen eignen und zudem kostengünstig sein können. Robuste und kompakte Verpackungen zum Verstauen der Karten begünstigen die Mitnahme umso mehr. Gelegentlich enthalten Spiele bereits Material zur verbesserten Reisetauglichkeit, etwa die Tichu-Pocket-Box-Variante, bei der die Karten in einem widerstandsfähigen, aber leichten Metallgehäuse geliefert werden.

Bild 1: Eine Hand, die Karten verschiedener Trading Card Games hält. © Jason-Brown
TCGs stehen dem oben genannten positiven Kostenpunkt jedoch entgegen, ruhen sie doch darauf, regelmäßig neue Karten einzuführen, die in Form von Packs (sogenannten Boostern) zu erwerben sind. Betrachtet man Franchises wie Magic: The Gathering, Pokémon TCG oder Yu-Gi-Oh!, so lassen sich jeweils Tausende von Euros investieren, um das eigene Inventar mit verschiedensten Karten anzureichern. Gesteigert wird der Kostenpunkt durch den Zufallsfaktor beim Erwerb neuer Karten. Insbesondere Booster-Packs besitzen variable Inhalte, sodass erst nach dem Öffnen der Packungen ersichtlich wird, was sich darin befindet. Doch aus diesem ökonomisch (und ökologisch sowie für die mentale Gesundheit (Stichwort ‚Dark Patterns‘ und ‚Sucht‘)) fragwürdig zu betrachtenden Aspekt ergibt sich auch der Mehrwert des TCG-Genres: das Trading. Duplikate einer Karte können mit anderen Sammelnden gegen eine andere, noch nicht im Besitz befindliche Karte getauscht werden. Dies fördert einerseits die soziale Komponente der zahlreichen Mikro- und Makro-Communities dieser Franchises und andererseits den weiteren Bedarf an immer neuen Karten. So entsteht ein Kreislauf, der die Produktions- und Konsummaschinerie stetig am Laufen hält. Doch auch LCGs fordern mitunter horrende Summen ein, möchte man eine Spielereihe vervollständigen. Sowohl für Marvel Champions LCG als auch für Arkham Horror: Das Kartenspiel lassen sich inzwischen Hunderte von Euros für Erweiterungen von Kampagnen, Szenarien, Held*innen (Marvel) bzw. Ermittler*innen (Arkham) ausgeben. Im Unterschied zu TCGs besitzen LCG-Erweiterungen jedoch klar definierte Inhalte, was sowohl negativen als auch positiven Überraschungen, die dem Kauf von TCGs beiwohnen, vorbeugt. Andererseits spielt dadurch die soziale Komponente des Tauschens – und zum Teil die damit verbundene Erstellung und Vermarktung von Karten mit Seltenheitsstufen und/oder mit besonderen Designs, Material (z. B. Glitzerkarten), Namen o. ä. – quasi keine Rolle. Egal, ob TCG oder LCG: Wer die Masse an Karten dazu noch ‚sleeven‘, diese also mit einer Schutzhülle versehen will, zahlt zusätzlich drauf – mit variierenden Kosten je nach Marke und Art der Sleeves, und je nachdem, ob Inner Sleeves und/oder Outer Sleeves verwendet werden.
Design Defines
Neue Karten für TCGs sowie für all jene Spiele, die neu auf dem Markt erscheinen, erfordern (zumeist) auch Alleinstellungsmerkmale. Aufgrund der Schlichtheit des meistgenutzten Kartenmaterials Papier ist insbesondere ihr Design für ihren jeweiligen Wiedererkennungswert von Relevanz, sodass es mittlerweile eine unüberschaubare Vielzahl verschiedener Kartenmotiviken für unterschiedlichste Spiele gibt. Ob durch Werte und ihre Platzierung, Farbe, Bildmotive, Text und dessen Inhalt oder weitere Gestaltungselemente (wie Rahmen, Typografie, Kartengröße und -material oder Veredelungen) – die Möglichkeiten, um Karten einzigartige Looks und Inhalte zu verleihen, sind zahlreich. Auch durch technologische Entwicklungen kamen immer mehr Mittel hinzu, um Karten zu variieren – und in Masse zu produzieren. Oft sind bestimmte Spielkarten von Kenner*innen auf den ersten Blick einem Spiel zuzuordnen, selbst wenn Alternativdesigns (sogenannte Alternate Arts) oder Folierungen (Foils) genutzt werden, um Kartendesigns neu und frisch zu halten. Doch eines verbindet alle Kartenspiele miteinander: sie kommunizieren.

Bild 2: Compilation verschiedener Skat-Motive.© Kartenspiele: Jeweiliger Verlag. Erstellt mit Canva/Alexander Bärtl/LaP
Communication Is Key
Ob durch eine abgedruckte Zahl in den Ecken, wie es aus klassischen Spielkarten bekannt ist, Bilder und Symbole oder durch abgedruckte Texte unterschiedlichster Länge: Sprache ist Kartenspielen immanent. Sie gibt Werte, Effekte, Bedingungen, Anweisungen oder Siegpunkte an, stellt Querverbindungen innerhalb des Spiels oder zwischen Karten her oder besitzt narrative, deskriptive oder instruierende Funktionen. Doch die Sprache im Spiel und das Sprechen zum Spiel können nicht nur über die Logik und die Mechanik von Kartenspielen bestimmen, sondern auch als ludische Elemente des Game Designs und damit als komplexe Eigenmechanik fungieren. Das 2019 erschienene kooperative Stichkartenspiel Die Crew nimmt die Spieler*innen mit auf eine – zugegeben thematisch wenig eng verknüpfte – Reise durchs All, in der über fünfzig sukzessiv schwerer werdende Missionen im Team gemeistert werden müssen. Die Spieler*innen erhalten dabei zu Beginn jeder Runde wechselnde Aufgabenkärtchen, die mit der Art der zu erlangenden Stiche zusammenhängen. Bereits beim Verteilen der Aufgaben können kommunikative Aspekte eine Rolle einnehmen, z. B., wenn der Captain die Crewmitglieder reihum zu jeder Aufgabe befragen muss, wie sehr sie sich jeweils in der Lage sehen, anhand der eigenen Handkarten die Aufgabe zu meistern. Eine manchmal vorkommende Zuspitzung dieses Schwierigkeitsmodifikators begrenzt die Antwortmöglichkeiten der Mitglieder auf ein ‚Ja‘ oder ‚Nein‘, was aufgrund der Absolutheit der Aussage zu vehementen Entscheidungsschwierigkeiten aller Beteiligten führen kann. Zur Kommunikation während des Spiels darf nicht verbal agiert werden. Stattdessen kann einmalig pro Mission (bzw. Versuch) und Spieler*in eine Handkarte offen ausgelegt und mit einem Kommunikationsplättchen versehen werden. Je nach Position des Plättchens auf der Karte wird definiert, welche konkrete Bedeutung ihr im Verhältnis zu den eigenen Handkarten zuteilwird: ‚oben‘ = höchste Karte dieser Farbe; ‚mittig‘ = einzige Karte dieser Farbe; ‚unten‘ = niedrigste Karte dieser Farbe. Missionsbedingungen können diese Möglichkeit jedoch auch unterbinden, sodass noch mehr darauf zu achten ist, wer wann welche Karte spielt. D. h., selbst das Ausspielen von Karten stellt für sich bereits eine Art der Kommunikation dar, die die Crewmitglieder zum Nachdenken und Mutmaßen verpflichtet – immer mit Blick auf die eigenen Aufgabenkärtchen und die der anderen. Dieser grundlegende kommunikative Aspekt gilt für eine Vielzahl von Kartenspielen.

Bild 3: Spielübersicht zum Spiel The Crew. © Kosmos Verlag
Sprache als Spielelement
Noch einen Schritt weiter in Bezug auf minimalistische Kommunikation geht hier das zwischen Hektik und ‚cosy‘ changierende Kartenspiel The Mind. In diesem 2018 erschienenen kooperativen Kartenspiel darf nichts über die eigenen Karten verraten werden. In unabhängiger Spielerreihenfolge gilt es, die mit jedem Level in Anzahl steigenden Handkarten in aufsteigender Wertigkeit abzulegen, bis niemand mehr Handkarten hat. ‚Wurfsterne‘ können nach gemeinsamer Abstimmung – als quasi einzige Form verbaler Kommunikation – verbraucht werden, damit jede*r Spieler*in die jeweils niedrigste Handkarte abwirft, was selbst wiederum kommunikative Implikationen beinhaltet. Der Kniff ergibt sich aus dem Unwissen, welche Kartenwerte (1–100) aktuell im Spiel sind, da nie alle Karten ins Spiel kommen. Legt Spieler*in A etwa eine ‚3‘ und hat selbst noch weitere niedrigwertige Karten auf der Hand, so kann es zu großen Verunsicherungen führen, wann Spieler*in A die nächstniedrige Karte ausspielt, sofern es nicht die ‚4‘ ist. Ein Gefühl für die Situation, das Kennen der Mitspieler*innen sowie eine gute Prise Glück dominieren damit das Spielgeschehen und führen gern zu Situationen, in denen ein*e Spieler*in in Bruchteilen einer Sekunde eine Karte zu früh ausspielt, während kurz darauf der*die Mitspieler*in mit der korrekten nächsten Karte diese auf die gerade gespielte höhere Karte schmettert – und das Team damit eines ihrer Leben verliert und das Level neu starten muss.

Bild 4: Spielübersicht des Spiels The Mind. © Nürnberger Spielkarten-Verlag
Schlüsselwörter und Rekurrenzen
Doch wie bereits angedeutet, lebt eine Reihe von Kartenspielen auch von der Textsprache. In Fantastische Reiche zum Beispiel, einem schnelllebigen „combo-licious card game“, ist sie Kern- und Angelpunkt der Spielmechanik. Es gilt, die eigenen sieben Handkarten durch asynchrones Austauschen bzw. Ziehen von Karten auf die bestmögliche Gesamtpunktzahl zu optimieren. Die Karten stellen hierbei enge Verbindungen miteinander her und bereichern oder aber behindern sich gegenseitig. Neben Schlüsselwörtern – wie ‚BLOCKIERT‘, ‚HEBT […] AUF‘ oder ‚für jede‘ – existieren Farb- sowie typographische Codierungen (Rekurrenzen), die insbesondere zur besseren Übersicht und dem schnelleren Nachvollziehen von Effekten und damit zur einfacheren Endwertung beitragen. So sind etwa ‚Bestien’ grün markiert, was sich am linken Kartenrand sowie innerhalb der jeweiligen Kartentexte durch den entsprechend grün geschriebenen Begriff ‚Bestien‘ abbildet. Wird auf einen der allesamt einzigartigen Kartennamen im Text Bezug genommen, wird dies durch einen Unterstrich gekennzeichnet. Einher mit der Bezugnahme auf konkrete Farben oder allgemeine Kartenfarben geht die Nutzung von Fettschrift. Diese verschiedenen typografischen Elemente sorgen dafür, das Wesentliche einer Karte auf Anhieb erkennen und mit den anderen Karten abgleichen zu können. Auch vereinfachen sie nachzuvollziehen, welche Strategien die Mitspieler*innen vermutlich verfolgen, um ihnen möglichst nicht oder erst spät entsprechende Karten zuzuspielen.

Bild 5: Drei beispielhafte Karten des Spiels Fantastische Reiche, die Schlüsselwörter enthalten. © Strohmann Games
Wie diese Einführung anmuten lässt, ist die Zahl an Kartenspielen ebenso imposant wie deren Analysepotenzial, wobei einige Aspekte – wie die historischen Facetten rund um Card Games – noch gar nicht benannt wurden. Daher erscheint es nur naheliegend, sich diesem Kosmos noch tiefer zu widmen, weshalb der hiesige Abriss den Weg ebnet für thematisch enger verortete Beiträge auf unserem Blog im Rahmen unseres jüngsten Calls. Das Team von Language at Play freut sich sehr, in den kommenden Wochen eine Bandbreite an Beiträgen zu unterschiedlichsten Schwerpunkten und aus verschiedensten Perspektiven heraus veröffentlichen zu dürfen. Wir wünschen allen Beteiligten und Lesenden viel Freude beim Explorieren, ein wunderbares Weihnachtsfest und schon vorab einen guten Rutsch ins neue Jahr.


Eine Antwort
[…] natürlich keineswegs als spannender Beitrag gelten kann, geht es gleich heute direkt mit unserem ersten Beitrag los: Eine Einführung in das Thema von unserem Alexander Bärtl! Alex gibt uns einen Überblick: […]