Die Komposition des Kampfes in „Clair Obscur: Expedition 33“
Ein Kampf, viele Möglichkeiten der visuellen Darstellung. Der diesjährige französische Überraschungshit Clair Obscur: Expedition 33 war in aller Munde. Eine Vielzahl von Aspekten hat Spieler*innen weltweit in den Bann der ludisch aufbereiteten Fantasy-Welt der Belle Époque gezogen. Mitreißende Geschichten, malerische Settings, spannende Charaktere und ein bombastischer Soundtrack – man könnte wahrscheinlich ganze Sachbücher zu diesem düsteren und zugleich humoristischen Epos füllen. Dieser Beitrag begrenzt sich auf einen konkreten Aspekt des Spiels: den Kampf. Zunächst schreckte mich die Mischung aus rundenbasierten Kämpfen und Echtzeit-Aktionen vor dem Kauf des Spiels ab. Fast schon hätte ich mich nicht der Expedition 33 zu den dystopischen Orten und der ‚Malerin‘ angeschlossen. Ein fataler Fehler wäre dies gewesen, ist doch nicht nur das Spiel als solches, sondern auch das Kampfsystem herausragend. Doch was macht das Kampfsystem so besonders?

Canva-Collage mit Spiel-Motiven sowie dem Beitragstitel oben und unten. Erstellt mit Canva. Copyright der Bilder: Sandfall Interactive/Kepler Interactive (2025): Clair Obscur: Expedition 33
Rundenbasiert meets Echtzeit
Was wohl viele an Titel wie Final Fantasy erinnert, ist das grundlegend nicht in Echtzeit stattfindende Kampfsystem. Jede verbündete und gegnerische Figur ist nacheinander dran, Aktionen durchzuführen, die von Angriffen über Heilungen bis zu Spezialmanövern reichen. So weit, so bekannt. Was in Expedition 33 aber hinzukommt, sind in Echtzeit auszuführende Aktionen. Die meisten Skills enthalten eine Timing-Mechanik, die das Drücken bestimmter Tasten zur richtigen Zeit für das bestmögliche Ergebnis voraussetzt. Auch bei gegnerischen Angriffen existiert ein kleines Zeitfenster für Echtzeit-Reaktionen zum Ausweichen und ein noch kleineres zum Parieren, was insbesondere ab der zweiten Hälfte des Spiels unabdingbar ist. Gegner*innen haben außerdem zumeist verschiedene mögliche Angriffe, woraus wiederum verschiedene Zeitpunkte zum Ausweichen und zum Parieren resultieren. Während der*die Spieler*in also vor und nach jeder Aktion quasi alle Zeit der Welt hat, um den nächsten Schritt abzuwägen, verlangt einem die jeweilige Aktion selbst eine schnelle Reaktionszeit ab. Je vertrauter man mit den Charakteren und den jeweiligen Builds und Skills sowie auch mit den zahlreichen verschiedenen Gegnertypen und Angriffen ist, desto stärker sind bei Aktionen sowohl die erforderliche Taste als auch das notwendige Timing kognitiv verankert. Zwar ist zu Beginn des Spiels eine von drei Schwierigkeitsstufen zu wählen, die insbesondere über die Anforderungen (d. h. den Zeitraum) an die Echtzeit-Reaktionsmomente entscheiden, doch dies allein determiniert nicht, wie herausfordernd Kämpfe über den gesamten Spielverlauf hinweg sind.
Eine Frage der Perspektive

Image 1: Kampfszene mit einem normalen Gegner. © Sandfall Interactive/Kepler Interactive (2025): Clair Obscur: Expedition 33 (Screenshot)
Ich müsste mir schon viel Mühe geben, um mich daran zu erinnern, in welchen Spielen derartig räumliche und farbliche Elemente wie in Clair Obscur genutzt werden, um Schwierigkeitsgrade zu erzeugen. Während Gegnertypen oft mehr als einmal auftauchen, ohne, dass der Kampf selbst – abgesehen vom typischen ludischen Progressionsfaktor durch Lebenspunkte, Schaden usw. – zwangsläufig schwieriger wird, werden gezielt verschiedene Inszenierungen und Perspektivierungen der Kampfsequenzen verwendet. Meist ist der Erstkontakt mit einem neuen Gegnertyp sehr grundlegend gehalten. Das bedeutet, dass bewusst nicht mit Design-Elementen gespielt wird, sondern der Fokus auf das Kennenlernen des Gegnertyps liegt: Welche Besonderheiten hat er, etwa in Bezug auf Immunitäten oder Anfälligkeiten? Welche Angriffe führt er durch? Welche Bewegungen oder Positionen deuten auf die Art des Angriffs hin? Was sind die Timing-Punkte für Ausweich- oder Pariermanöver? Auch beim zweiten oder dritten Kontakt können sich die Kampfbedingungen noch sehr ähneln. Doch insbesondere im späteren Verlauf und bei wiederkehrenden Gegner*innen kann sich das Kampfempfinden drastisch wandeln. Plötzlich ist es möglich, dass der Blick aufs Geschehen nicht mehr aus nächster Nähe der Spielfiguren auf die Gegner*innen erfolgt, sondern Distanz zu den Figuren aufgebaut wird, häufig auch mit variierenden Winkeln. Die Kampfkulisse kann anstelle klarer, satter Farben ohne viele Hintergrundelemente einem verdunkelten, verzerrten oder irritierenden Setting weichen, das Gegnerbewegungen undurchsichtig erscheinen lässt. In-Fight-Cutsequenzen und Mittel der Bewegung – sei es durch eine sich bewegende ‚Kamera‘ oder andere bewegende Elemente – können diesen Effekt zusätzlich verstärken. Die visuelle Anpassung des Kampfes kann sogar so weit führen, dass Gegner*innen und ihre Aktionen kaum noch zu erkennen sind, weil sie zu weit weg sind, sie mit dem Hintergrund farblich verschwimmen, die Sicht durch Objekte oder Figuren partiell verdeckt wird oder alles zusammen.

Image 2: Kampfszene mit einem Boss. © Sandfall Interactive/Kepler Interactive (2025): Clair Obscur: Expedition 33 (Screenshot)
Das Spiel spricht also durch das Game Design. Es verrät mal mehr, mal weniger, welche Bewegungen die Gegner*innen machen, um als Spieler*in rechtzeitig darauf reagieren zu können. Es kommuniziert subtil die sukzessive Erhöhung des Schwierigkeitsgrads bei bestimmten Gegnertypen, ohne dabei den Kampf selbst allzu sehr zu modifizieren. Die wohl größte Hilfestellung, die das Spiel den Spielenden bei all ihren Kämpfen liefert, ist neben der gesammelten (kognitiven sowie ludischen) Erfahrung der Sound.

Image 4: Kampfszene mit einem Gegner, der einen Gradient-Angriff ausführt. © Sandfall Interactive/Kepler Interactive (2025): Clair Obscur: Expedition 33 (Screenshot)
Ich höre was, was du nicht siehst
Während das Gesehene immer wieder getrübt wird, kann das Gehörte als zuverlässiger Detektor für Timing-Momente herangezogen werden. Nun, zugegeben, sich bei Kämpfen allein auf das Gehör zu verlassen, ist wohl nur schwer umsetzbar, sind doch die visuellen Elemente wie körperliche Bewegungen, Umgebungs- oder Farbveränderungen ausschlaggebend dafür, überhaupt die Art des Angriffs identifizieren zu können. Dies trifft insbesondere bei Gegner*innen zu, die einen sogenannten ‚Gradient Attack‘, also eine besonders starke Attacke ausführen können, die durch ein schwarz-weißes, rauchartiges kreisförmiges Muster um die Gegnerfigur herum visuell angekündigt wird.
Doch gerade bei den ästhetisch hochgradig manipulierten Kampfszenarien kann der Sound maßgeblich dazu beitragen, im perfekten Moment zu Parieren. Denn nur eine Gegnerbewegung als solche – etwa das Schwingen eines Schwertes – lässt noch nicht zuverlässig darauf schließen, wann der genaue Angriff erfolgt. Abhilfe hierbei schaffen Soundeffekte – wie das schleifartige Klingen beim Schwertschwung oder ein dumpfer Sound bei Gradient Attacks –, die unmittelbar vor dem Ausführen des Angriffsmoments ertönen. Sie kommunizieren den richtigen Zeitpunkt zum Reagieren und verankern sich als zuverlässiges Momentum im Kampfgeschehen. Vor allem bei den einzigartigen Bosskämpfen zeigt sich hierbei ihr Nutzen. Bosse können nach Scheitern zwar immer wieder erneut bekämpft und somit ihre Muster studiert und eingeprägt werden, doch bedarf es wohl neben den Wiederholungsversuchen einiger Zeit, sich die Boss-spezifischen Angriffsmuster anhand visueller Eigenheiten exakt einzuprägen oder diese vorherzubestimmen. Wer Bosse gleich beim ersten Versuch besiegen will, ist häufig auf die unterstützende auditive Ebene angewiesen. Vor allem im späteren Spielverlauf werden Bosskämpfe oft von radikalen visuellen Eigenheiten begleitet, die zu einer Disruption des Vertrauens auf die eigene visuelle Wahrnehmung führen können. Dunkelheit, irritierende Lichtgebung, bizarre Gegneroptik oder chaotische Umgebungseffekte – der Sound kann zum Kompass auf stürmischer See, zum Leuchtturm im Nebel, zum Fels in der Brandung werden, wenn der visuelle Sinn getäuscht wird.

Image 5: Kampfszene mit einem Gegner, der einen Gradient-Angriff ausführt. © Sandfall Interactive/Kepler Interactive (2025): Clair Obscur: Expedition 33 (Screenshot)

